Recycling ist aus der Mode

Das „Große Wörterbuch der deutschen Sprache“ kennt den Begriff noch, das Rechtschreibprogramm meines Computers schon nicht mehr: „Resteessen, das (fam.): aus Resten zubereitetes Essen“.

Gleich darunter steht in dem Wörterbuch: „Restetag, der (fam.): Tag, an dem es ein Resteessen gibt“. Das Wort war mir neu. Warum ich diese Definitionen anbringe? Weil das Resteessen offenbar immer weniger Anhänger hat und Restetage seltener geworden sind als gesetzliche Feiertage, an denen auch arbeitsfrei ist, was kuriose Folgen hat. Etwa die Bitte um einen Kochtipp – eben für ein Resteessen, wie jüngst von Leser Herbert M. Und den Vorschlag eines Bekannten: „Sag mal, wäre das nicht eine Idee? Könnten wir nicht mal ein richtig gutes Resteessen machen?“

Jetzt denken mal alle, die das auch für einen guten Einfall halten, weil sie sich an kalten Braten bei Großmuttern erinnern, kurz und für ein Fünferl nach, wie meine Oma sagt. Und führen sich vor Augen, was für ein Unfug das eigentlich ist, noch vor der Herstellung eines Gerichts über sein Recycling nachzudenken. Mir kommt das vor, als würde ich einen Pulli kaufen und mir dabei schon vorstellen, wie er eingelaufen eine hübsche Anziehsache für den Teddy meines Neffen abgeben würde.

Ein Resteessen zu planen ist so, als würde man schon vor Beginn einer Fußball-WM das Spiel um den dritten Platz austragen wollen. Aber bei vielen ist es so: Denken sie an ein Resteessen aus ihrer Kindheit, leuchten die Augen, und im Bauch wird es gleich etwas wärmer, auch bei mir: Herrlich, wenn meine Oma früher die Semmelknödel vom Vortag, in Scheiben geschnitten, in Butter „aufschmelzte“, wie sie sagte. Oder in den faden Kartoffelbrei ein Ei schlug, und es Kartoffelplätzchen mit Soße gab. Und erst ihr Reisauflauf: innen butterweich, außen kross goldbraun der Käse …

Ich finde den Vergleich treffend: Ein Resteessen ist wie ein Spiel um den dritten Platz. Auf dem Fußballplatz wie unter der Küchenzeile trifft sich, was noch übrig ist. Und ausnahmsweise geht es mal nicht ums Gewinnen, um Perfektion, Meisterschaft und Disziplin. Sondern um Spaß, Spielwitz und gute Laune. Dribbeleien und ein paar Fallrückzieher müssen sein. In der Küche genauso: Da darf mit Resten gemanscht und gepanscht werden, da wird endlich nicht mit Butter gespart, um alles schön aufzubraten und den Geschmack auf Turbo zu bringen. Da entwickeln Speisen erst so richtig Fülle und Tiefgang. Da wird mit anderen Zutaten experimentiert – was sich eben noch im Kühlschrank oder sonst wo findet. Da darf was schiefgehen, und da herrscht am Tisch fröhliche All-you-can-eat-Mentalität.

Deswegen kann man beim Resteessen mal ganz anders kochen lernen, nämlich ganz nach der eigenen Fasson, ohne Schurigelei von Mengenangaben, Garzeiten und der Methode von Fernsehkoch XY. Das Spiel um den dritten Platz wird immer seltener. Einige Resteessen haben sich einen Platz unter normalen Gerichten erobert wie Bratengröstl oder beispielsweise in Italien die Ribollita, ein Bohnentopf, der richtig Wucht entfaltet, wenn er nach ein paar Tagen wieder aufgewärmt wird. Doppelt frittiertes Fleisch, Ente gekocht und gebraten – in China hat sich aus der Resteverwertung eine eigene Art der zweifachen Zubereitung entwickelt. Doch in der Alltagsküche? Keine Spur. Es gibt keine Reste mehr, da will niemand ein zweites Spiel.

Das hat mehrere Gründe: Im Supermarkt ist inzwischen alles so klein verpackt, dass man schon doppelte Mengen kaufen muss, um zwei Leute halbwegs satt zu machen, und übrig bleibt erst recht nichts. Convenience Food schlägt eben Old Food. Der andere Grund heißt schlicht und einfach: Kühltruhe. Alles wird eingefroren, um nach Tagen und Wochen aufgewärmt einen Geschmack von nichts zu entwickeln. Es gäbe noch mehr.

Also, ich hätte gern, dass irgendein Lexikon diese Definition aufnimmt: „Resteessen, das (fam.): ein aus Resten zubereitetes Essen oder Gerichte. Meist wegen der doppelten Zubereitung besonders schmackhaft. Leider veraltet.“

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