Brunnenkresse ist der neue Bärlauch

Ich bilde mir ein, die Pflanzen wetteiferten um die Aufmerksamkeit des Kochs. Thymian, Rosmarin und Salbei wuchern in dem großen Zinkkasten, den ich vor ein paar Wochen bepflanzt habe. Aber sie haben keine Chance gegen die Zitronenmelisse, die sich daneben immer weiter aufrichtet und ihren Nachbarn nicht aus der Sonne gehen will. Nicht einmal mein Kater kann die Himmelfahrt aufhalten. Er ist ebenfalls auf den zitronig-ätherischen Geschmack gekommen und zupft sich täglich ein paar Melissenblätter. Ich lasse ihn, solange er die Brunnenkresse daneben nicht anrührt. Auf die achte ich eifersüchtig. Sie ist gerade mein Star, nicht nur weil sie nach jeder Ernte so schnell austreibt, als wollte sie mir den Einsatz in der Küche danken.

Kräuter liegen im Trend, schon seit ein paar Jahren. Es gibt sie zwar noch, die faulig stinkenden Wasserbecken, in denen Schnittlauch, Dill und vor allem Unmengen krauser Petersilie in den Supermärkten vor sich hinmodern. Aber darüber hängen inzwischen niedliche Packungen, in denen Sträuße frischen Rosmarins, Oreganos oder Kerbels eingeschweißt sind und bis zu einer Woche frisch bleiben. Ich habe neulich in einem der entlegensten Landstriche Brandenburgs, der Uckermark, sogar Koriander in solch einem Gebinde gefunden. Das ist eine Gegend, in der noch das Schwein die Fleischtheken dominiert. Ach was: Sie sind eigentlich No-Go-Areas für Steaks, Lamm oder Geflügel.

Wir haben die Lust an frischem Blattwerk dem Basilikum zu verdanken. Mit ihm haben sich die Kräutertöpfe in den Gemüseabteilungen breitgemacht. Es waren die Neunziger, damals kam gerade der Tomaten-Mozzarella-Salat in Mode – oder Caprese, wie die Kenner sagen, nach wie vor ein einfaches, aber köstliches Sommergericht.

Zum Basilikum der Zehner-Jahre avancierte dann, vor allem in Gestalt von Pesto, der Bärlauch. Er läutete den Trend zu einer stärkeren regionalen Küche ein. Fast zeitgleich drängte sich ein Botschafter aus Fernost in den inzwischen immer dichteren Gewürzdschungel: Koriander.

Neben all den Heilkräften und antioxidativen Wirkungen, die diesen Pflanzen nachgesagt werden, vermitteln Kräuter vor allem Einfachheit und Frische – und irgendwie Unverfälschtheit. Man kann das einmal ausprobieren und eine billige Tomatensuppe aus der Tüte aufgießen und dann Koriander oder frisches Basilikum drüberstreuen. Die kräftigen ätherischen Aromen deckeln den Industriegeschmack fast völlig. Ich habe bei dem kleinen Experiment auch entdeckt, wie gut sich Koriander als Basilikum-Ersatz in der mediterranen Küche macht. Seine große Zeit wird noch kommen.

Vorerst aber widme ich mich der Brunnenkresse. Ich mag den scharfen Geschmack, der nicht so beißend ist wie Bärlauch, aber dennoch mehr Charakter hat als die Gartenkresse. Sie schmeckt etwas kräftiger nach Senf und Rettich. Man kann mit den Blättern nicht nur einen kleinen Salat anrichten. Ich liebe das Kraut auch auf gebratenem grünen Spargel und finde, es passt hervorragend zu Kartoffeln und Räucherlachs. Ich koche dafür neue Kartoffeln, die ich nicht pelle, nur halbiere, und mische sie noch sehr heiß mit einer einfachen Vinaigrette aus Weißweinessig. Warme Kartoffeln saugen Dressing am besten auf. Anschließend hebe ich den zerrupften Lachs und dann sehr viel Kresse unter.

Zu Fisch passt übrigens auch die wild wuchernde Zitronenmelisse unter meinen Kräutern. Es ist bald so weit, dann ernte ich den Topf. Die Blätter wandern mit etwas Ingwer, Chili und abgeriebener Zitronenschale in den Mörser. Olivenöl schmeckt mir für dieses Pesto zu intensiv, neutraleres Sonnenblumenöl ist mir lieber. Diese Paste mag ich zu gebratenen Forellen. Für die Nachspeise lasse ich ein paar Blätter übrig. Die gebe ich in Streifen geschnitten unter Erdbeeren, die eine Viertelstunde in Zucker gezogen haben. Noch ein Spritzer Sekt dazu, das ist mit etwas Joghurt eine Nachspeise, so einfach und raffiniert wie Caprese.

Es ist nur ein kleiner Balkon, auf dem ich meine Kräuter ziehe. Ich hätte gern noch Platz für all das, was mir im Gartencenter an­ge­boten wurde: Zitronenverbene, Ananas-Salbei, Anis-Ysop oder Olivenkraut. Ich habe mir dort ein Beispiel an meinem Kater ge­nommen und an jedem Töpfchen genascht. 2013 wird das Jahr von Olivenkraut und Zitronenverbene.

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