Ein Glas, viele Inhalte

Marmeladengläser sind doch feine Dinger. Ich sehe sie zurzeit überall, im Netz, in Magazinen, in Cafés und Restaurants. Nur: Marmelade ist nie drin.

Es gibt seit einer Weile diesen Einrichtungsstil: „Vintage“ nennt er sich, übersetzt heißt das nicht viel mehr als „vom Flohmarkt“. Aber das würde zu trivial klingen. Es ist eine Form von Retro-Design, die sehr puristisch Dinge aus Opas Zeiten wiederbelebt. Der Nierentisch, eine alte Arbeitslampe, große Holzbuchstaben oder ein alter Globus, das sind die typischen Accessoires in den Einrichtungszeitschriften. Erinnern Sie sich noch an das kippelige Bücherregal aus alten Weinkisten in ihrem ersten WG-Zimmer, an dem man sich immer Spreißel in den Finger gerammt hat? Ein paar Weinkisten sind übrig geblieben und hängen jetzt an der Wand. Sie sind schön geschliffen und grau gebeizt, so wirken sie noch antiker. Das ist „vintage“.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nichts daran aussetzen, dass man einfache Dinge wiederbelebt. Im Gegenteil. Diese Mode, die es auch bei Kleidung gibt, und natürlich auch in der Küche, setzt auf die guten alten Objekte und versucht sie verschönernd wiederzuverwerten. Upcyceln heißt der Fachbegriff. Ich habe dafür viel Sympathie. Wenn da nicht diese Sache mit den Einmachgläsern wäre.

Ich staune, was sich damit alles machen lässt. So ein Marmeladenglas kann Aufbewahrungsort für vieles sein: Knöpfe, Stifte, Briefklammern, Haargummis. Oder Kerzen. Dann werden aus ihnen kleine Windlichter. Das kennen Sie vielleicht auch noch aus Ihrer WG. Als Vasen sind sie auch einsetzbar. Nicht nur ein Gänseblümchenstrauß macht sich darin gut. In Berlin gibt es unzählige Lokale, die, weil sie auf Einmachgläser setzen, Produkt-Placement für die Marke Weck betreiben. Groß prangt der Schriftzug auf den Gläsern. In größere Exemplare lassen sich sogar Kabel samt Glühbirne montieren, dann hat man eine Lampe. Ein Loch im Deckel und ein Strohhalm durchgesteckt, fertig ist ein Trinkbecher, der gar nicht mehr nach Fastfood aussieht. Natürlich eignen sich die Gläser auch für Goldfische, als Kleinst-Terrarien oder Mini-Treibhäuser. Neulich wurde ich sogar mit dem Vorschlag konfrontiert, kleine Löcher in die Deckel zu bohren und die Gläser als Pfeffer- und Salzstreuer zu verwenden. Genial. Ich glaube fast, man kann bald sein ganzes Interieur auf Grundlage von Marmeladengläsern zusammenstellen. Lautsprecherboxen habe ich auch schon gesehen.

Nein, ich will nichts sagen gegen diesen Erfindungsreichtum, diese Do-it-yourself-Freude. Aber mir will nicht aus dem Kopf: Alles Zweckentfremdung. Warum wird so viel Fantasie darauf verwendet, die Gläser ihrer eigentlichen Bestimmung zu berauben? Glauben die Menschen, sie könnten ihr Dasein konservieren, wenn sie sich mit Gefäßen von Großmuttern umgeben?

Als Koch ist man ganz natürlich davon umgeben. Sie fallen an. Es gibt Vorrat. Und Marmeladengläser finden ohne großen Umbau in der Küche immer Verwendung: Als Mixer für eine Vinaigrette, vielleicht sogar für einen Cocktail oder als Ersatz für die Tupper-Dose. Sie sind multifunktional. Und: Schraubgläser eignen sich auch – für Marmelade.

Und die zu kochen, ist doch nicht schwer. Ein Nudelgericht dauert nicht länger, vor allem, wenn man mit Beeren arbeitet. Zurzeit gibt es alles: Himbeeren, Stachelbeeren und Johannis-beeren. Man muss das Obst kaum vorbereiten. Nur das Abfüllen der Marmelade kann eine Sauerei sein. Ich behelfe mir mit einer Plastikflasche. Den Hals kann man so abschneiden, dass er umgedreht zum passgenauen Trichter wird. Diese Zweckentfremdung liebe ich.

Foto: multikulinaria | CC

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