Die Kunst, Reis zu kochen

Reis bei genauerer Betrachtung
Ein Reiskorn hat sieben Seelen, sagt man in Japan. Ich finde, das ist sehr untertrieben. Es hat 70, wenn nicht noch mehr.

Die Frage, wie man Reis kocht, ist daher eine fast philosophische. Falsch machen kann man eigentlich nie etwas. Denn für jeden Zustand, mit dem der Reis aus dem Kochtopf kommt – ob schleimig, bissfest oder knusprig – gibt es irgendwo auf der Welt ein Rezept.

Das glauben Sie nicht? Einigen wir uns darauf, dass Reis, der fast eine Stunde gekocht wurde und dabei zerfallen ist, tatsächlich nicht mehr als das Gelbe vom Ei gelten sollte. Voilà, das ist das Rezept für die chinesische Art von Porridge. Congee heißt dieser wässrige, ungesalzene Reisbrei, der im Reich der Mitte vom Frühstücks­tisch so wenig wegzudenken ist wie bei uns das Marmeladebrot. Dazu gibt es meist die Reste vom Vorabend und oft auch gerne „tausendjährige“ Eier.

Wenn man Reis kocht, sollte man sich also zuerst fragen, wie das Ergebnis aussehen soll. Dann offenbart sich, was ich mit „70 Seelen“ meine. Denn Reis kann richtig schlotzig werden wie in einem Risotto, cremig wie in Milchreis, knusprig wie am Boden einer Paella-Pfanne oder fest und teigig wie in einem Reisauflauf. Und jetzt habe ich nur Gerichte aus der europäischen Küche aufgezählt. Schaut man nach Asien, bekommt man eine Ahnung davon, welche Kunst es ist, Reis zu kochen. Wussten Sie, dass Sushi-Köche in Japan sieben Jahre in die Lehre gehen müssen? Die meiste Zeit geht dafür drauf, sich mit dem Reis zu beschäftigen. Der richtige Biss, die richtige Klebrigkeit, die richtige Würze, damit die weißen Körner mit dem rohen Fisch korrespondieren – dafür werden in Japan geheime Rezepte vom Meister an den Lehrling weitergegeben.

Am anderen Ende der Welt dagegen geht es darum, dem Reis jede Seele zu entziehen. Wenigstens kommt es mir so vor, wenn ich durch die Supermärkte streife: Neben Stapeln von Reiswaffeln in jeder Geschmacksrichtung (kalorienarm, glutenfrei) ­regiert der „Gelingt-immer“-Kochbeutel die Regale. Reis wie dieser läuft bei uns unter der Rubrik „Schon- und Diätkost“, man kocht ihn nicht, man tunkt ihn in kochendes Wasser, und die meisten Menschen sagen dazu: „Ich mache ihn fertig.“ Ja, genau, im doppelten Wortsinn. Ich finde es inzwischen nicht mehr schlimm, wenn mir Menschen erzählen, dass sie keinen Reis essen, nicht zu Hause, ganz bestimmt nicht im Restaurant. Sie kennen nichts anderes, sie meinen Reis wie den aus dem Kochbeutel. Gut, er bleibt locker und klebt nicht, aber geschmacklos bleibt er eben auch. Er ist eben „kochfest“, so steht das zumindest auf vielen Verpackungen.

Natürlich, Reis, den es sich zu kochen lohnt, findet man auch überall: Basmati-, Jasmin- oder Wildreis liegen meist versteckt zwischen getrockneten Linsen und Bohnen in kleinen und exklusiven Verpackungen. Genauso wie Carnaroli- oder Arborio-Reis, den man für Risotto verwendet. Überhaupt Risotto. Es ist vielleicht das einzige Gericht, bei dem sich hierzulande Menschen am Herd wirklich richtig einen Kopf um den Reis machen. Wie lange muss er angeschwitzt, wann abgelöscht, wie gerührt werden, damit ein perfekter Risotto entsteht? Darüber kann man oft trefflich diskutieren. Dass sie die Hauptzutat dafür sonst mechanisch ins Wasser oder in den Reiskocher werfen, blenden viele dabei jedoch aus.

Reis ist aber immer eine delikate Angelegenheit, wenn man nur ein paar Anleihen beim Risotto nimmt. Es ist ein Gericht, das – angefangen vom Olivenöl über Brühe, Käse und Butter ­– die unterschiedlichsten Fette und Aromen aufnimmt. Ich schwitze daher auch andere Reisarten in Butter an und nehme mir ein bisschen Zeit für die Würze: Safran, Paprika, gewässerte Korinthen oder manchmal sogar vorgekochte Linsen und Bohnen – das kommt mit in den Topf, bevor ich Wasser hinzugebe, auf eine Tasse Reis etwa eineinhalb Tassen Wasser. Das lasse ich bei geschlossenem Deckel fünf bis zehn Minuten kochen und stelle dann den Herd ab. Der Reis macht nun die Arbeit und saugt Aromen und Flüssigkeit in sich auf. Kommt das zu einem Gemüse-Curry oder einem geschmorten Hähnchen auf den Teller, reicht die Bezeichnung „Beilage“ gar nicht mehr aus.

Ich verspreche Ihnen: Bekommt Reis nur ein bisschen Achtung, dann öffnet er jedem seine Seelen.

Foto: qinn.anya | CC

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