„Ich weiß schon, was Du nimmst“, sagt meine Liebste neulich im Restaurant, wir haben eben die Speisekarte in die Hände genommen. „Glaubst Du? Ich hab noch gar nicht durchgeschaut.“ Sagt sie: „Na, dann lies mal.“

Nach so einer Ansage ist es natürlich schwer, sich richtig zu entscheiden. Bin ich so einfach auszurechnen? Soll ich nehmen, was ich nie bestelle, mit den Worten: „Doch, heute hatte ich einfach mal Lust auf einen kleinen Salat mit Putenstreifen“? Nein, das wäre zu offensichtlich. Und ein viel zu kleiner Triumph. Auch der Risotto fällt deswegen aus, Risotto esse ich außer Haus ganz selten. Das Ossobuco wäre eigentlich keine schlechte Idee, aber das gehört bekanntermaßen zu meinen Favoriten. Kommt also auch nicht in die engere Wahl. Das gilt auch für die Lammsteaks. Habe ich die nicht schon beim letzten Mal hier gegessen? Das sind so die Gedanken, mit denen ich mich durch die Speisekarte hangele, immer unentschiedener, immer ratloser. Ich bin schon kurz davor, mir die Haare zu raufen. Dann fällt mir ein Gericht ins Auge. Und ich weiß, sie weiß es. Soll sie nur Recht bekommen, dieses Experiment ist es mir wert.

Als ich hochblicke, sagt sie lächelnd: „Das war leicht.“ Ich frage „Warum?“ „Weil ich keinen Schimmer habe, was das sein könnte“, antwortet sie, „Und ich glaube, Du auch nicht. Also.“ Und dann winkt sie der Kellnerin.

escabeche
Auch Escabeche: Sauer eingelegte Sardinen

Wie recht sie hat. In dem Punkt bin ich wirklich leicht auszurechnen. Ich greife gern zu Unbekanntem. Wenn Kalbsbries, Puntarelle oder Salat von rohen Artischocken auf der Karte stehen, bin ich dabei. Heute ist es „Schwertfisch-Escabeche“. Ich habe keine Ahnung, was das sein könnte, und die Kellnerin weiß es auch nicht: „Das ist ganz neu. Sie sind der Erste, der das bestellt“, sagt sie. Was nicht unbedingt für das Lokal spricht, aber für meine Wahl. Nun bin ich gespannt. „Können wir die Vorspeise überspringen“, frage ich. Wir können. Meine Liebste kennt mich ja …

Platzen Sie nun auch fast vor Neugier? Das war der Sinn dieser Einleitung. Also lasse ich schnell mal die Luft aus dem Ballon, und zwar karacho: Bei Escabeche handelt es sich um so etwas Ähnliches wie den guten alten deutschen Brathering – pfuuuuhh – und auch wieder nicht. Denn ehrlich gesagt war ich ziemlich  erstaunt, dass man mit so einer Zubereitungsweise so etwas Schmackhaftes auf den Teller bringen kann.

Bisher dachte ich, Brathering sei ein Singularität der deutschen Küche. Und das ganz zurecht, so sehr wie es mir oft den Mund zusammenzieht, wenn ich das aufgetischt bekomme habe. Aber die Singularität bezieht sich offenbar nur auf den Essigverbrauch. Inzwischen weiß ich, einen Fisch aus der Pfanne und in eine Essig-Marinade zu heben, hat nicht nur an der Küste Deutschlands Tradition, sondern auch am Mittelmeer und in der Karibik. In Italien sagt man auch „Scapece“ dazu, in Griechenland „Savoro“. Es handelt sich natürlich ursprünglich um eine Methode, um den Fisch haltbar zu machen, und beim Hering sollen sich dabei auch noch die Gräten auflösen, was den eifrigen Gebrauch von Essig erklärt, aber nicht entschuldigt.

Die Escabeche-Variante, die ich gegessen habe und seitdem auch oft gerne koche, erinnert nur noch leicht an die Konservierungsmethode. Man braucht dafür eine Marinade, die gerade so sauer ist, dass man sie auch gerne so löffeln möchte. Dafür koche ich Fischfond, Weißwein, Weißweinessig, Lorbeer, Piment und angebratene Zwiebeln auf, lasse die Marinade wieder etwas abkühlen und lege darin Fischfilets für etwa 45 Minuten ein. Dann heize ich den Ofen auf kleinster Stufe (50 Grad) vor und stelle eine Pfanne bei größter Hitze auf die Herdplatte. Die Filets werden abgetupft, leicht bemehlt und in etwas Öl zwei Minuten auf der Hautseite braun angebraten. Dann nehme ich die Pfanne vom Herd und lagere die Filets auf Küchenpapier. Ich gieße nun etwas Marinade in die Pfanne, warte, bis sie nicht mehr kocht, lege den Fisch mit der Hautseite nach oben hinein und gieße weiter Marinade nach, bis der Fisch darin schwimmt, die Hautseite aber trocken bleibt. Nun kommt die Pfanne in den Ofen.

Klingt kompliziert, erspart einem nun in der Küche aber viel Stress, denn der Fisch kann nun im Ofen bleiben, so lange man will, mindestens jedoch zwanzig Minuten. Ich habe nun viel Zeit, um in Ruhe ein Kartoffel-Knoblauch-Püree zuzubereiten und  Fenchel-Schnitze sowie Zucchini anzudünsten. Am Ende werden die Fischfilets in einem Suppenteller auf das Püree gesetzt, das Gemüse drum herum dekoriert. Am Schluss gieße ich noch etwas von der Marinade in den Teller.

Für das Rezept eignen sich nicht nur Meeresfische wie Wolfsbarsch oder Makrelen, sondern auch Flussbewohner. Besonders gern bereite ich so Felchen beziehungsweise Renke zu, wenn ich sie bekomme. Aber es funktioniert auch mit Forelle und Saibling. Die Säure spielt dem erdigen Geschmack dieser Fische etwas entgegen.

Noch einmal zurück zum Restaurant: Das Gerichte-Raten haben wir inzwischen schon einige Male wiederholt. Ich verliere sehr oft. Ich esse einfach zu gerne Neues.

Foto: annalibera | CC

Ein Gedanke zu “Sogar die Marinade ist zum Löffeln

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