Macht diese Kolumne dick? Mit dieser Frage ist es mir ernst. Ich habe nämlich gelesen, dass eine kanadische Psychologin vor den gesundheitlichen Gefahren von „Food Porn“ warnt.

Food Porn bezeichnet ein neuartiges Phänomen in den sozialen Medien. Auf Facebook oder Instagram sieht man immer öfter Gerichte auf leicht überbelichteten Smartphone-Aufnahmen. Es ist beliebt zu fotografieren, was man vor sich auf dem Tisch hat, um es anschließend übers Netz der Bekanntschaft mitzuteilen. Das hat Valerie Taylor, Psychiaterin an der Frauenklinik von Toronto, alarmiert. „Food Porn“ könne zu Essstörungen führen, meint sie.

foodporn
Manchmal blitzt es. Das ist dann unangenehm

Fresssucht oder Bulimie, ausgelöst, weil man zu viel Essen vor die Augen gesetzt bekommt: Das besorgt auch mich. Schließlich teile ich hier regelmäßig mit, was bei mir in die Töpfe wandert. Und ich habe womöglich unzählige Mitesser, die – am Ende der Kolumne angelangt – den Gedanken nicht verscheuchen können, dass der Mensch nicht vom Wort allein leben kann.

Denn es ist doch was dran an der Beobachtung von Frau Taylor. Wenigstens in den Restaurants der Berliner Szene-Viertel fällt es kaum noch auf, wenn Gäste ihr Smartphone zücken. Egal, ob mittags bei vegetarischen Maki-Rollen oder abends in einem teuren Restaurant, wenn confierte Stubenküken auf Spargelschaum serviert werden. Es macht immer wieder „Klick“. Manchmal blitzt es auch. Das ist dann doch etwas unangenehm.

Vor ein paar Tagen erlebte ich so einen Food-Pornografen hautnah. Ich saß mit einem Bekannten am Nebentisch. Der Mann, ebenfalls in Begleitung, ließ sich glücklicherweise nicht von uns stören. Wir konnten ihn ausgiebig beobachten, also so etwas wie Foodporn-Porn betreiben. Es war faszinierend, wie schnell und routiniert er bei jedem Gang zum Handy griff, es vertikal über jeden Teller hielt und abdrückte. Wir stellten uns vor, wie viel ähnliche Aufnahmen er wohl schon in seinem Handy gespeichert hatte. Sicher eine ganze Bibliothek.

„Meinst du, man kann sich so besser an ein Gericht erinnern, um es vergleichen oder nachkochen zu können?“, fragte ich irgendwann. Mein Bekannter, ebenfalls ein Kulinariker, konnte sich das nicht vorstellen. Er erzählte, eine Zeit lang habe er sich zu solch dokumentarischen Zwecken in Restaurants die Speisekarte zum Mitnehmen erbeten. Er mache das nur noch selten, bei ausnehmend guten Erlebnissen und wenn der Teller zu schnell leer geworden sei.

Das leuchtete mir ein. Wir begannen, uns gegenseitig von unseren ersten Malen zu erzählen. Von der ersten Avocado, dem ersten Hummer, dem ersten guten Risotto, die wir in unserem Leben genossen hatten. Meist konnten wir uns auch gut an die Umstände, den Ort der Mahlzeit und noch mehr erinnern. Es war ein höchst angenehmes Tischgespräch. Wir waren dem Fotografen ein paar Tische weiter am Ende sogar dankbar. Er lichtete gerade das Rharbarber-Crumble ab.

Valerie Taylor allerdings macht zwischen uns Dreien keinen Unterschied. Die Psychiaterin hat in ihrer Praxis beobachtet, dass manche Menschen Mühe haben, Essen nicht als Schlüsselelement in ihrem Leben anzusehen, weil sie nur noch interessiere, „was sie essen, wann sie gegessen haben und wann sie wieder essen werden“. Ob das zu dick macht oder zu dünn, Studien hat sie dafür bisher keine. Doch ich will ihr für diese letzten Zeilen einmal glauben. Denn ich gehöre wahrscheinlich auch zu diesen Gestörten.

Zum Glück dauert diese Kolumne nur eine Spalte. Also bitte: Lesen Sie weiter, blättern Sie weiter. Gehen Sie ausnahmsweise nicht an den Kühlschrank.

Foto: missmeng | CC

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