In meinem Hinterhof steht ein Holunderbusch. Er trägt seit drei Tagen Knospen. Ich beobachte das genau. Der Busch steht auf öffentlichem Grund. Und irgendwelche Strauchdiebe gibt es immer, die Unmengen von Blüten pflücken, nur um sie mit Zucker zu mischen und mit heißem Wasser zu übergießen – für ihren selbstgemachten Holunderblütensirup, der dann wieder im Keller verstaubt.

Können sie ja gerne. Aber dieses Jahr will ich der Erste sein. Ich brauche nur ein paar Dolden, aber es müssen die besten und frischesten sein. Es ist nicht leicht, sich als Stadtbewohner eine solche Ernte zu sichern. Deswegen besuche ich den Holunderstrauch jeden Morgen und jeden Abend. Die Knospen sind noch jung. Gut möglich, dass noch ein paar Tage vergehen, bis die Blüten aufbrechen. Aber was, wenn es schon morgen so weit ist, wenn ich es wieder verpasse? Dann muss ich mich wieder ärgern.

Holunderblüten
Noch einen Tag. Dann sind sie offen, voll süßen Blütenstaub und Nektars

Sie gehören zu den ganz seltenen Delikatessen in meinem Leben: Hollerkücherl. So sagt man dazu in Bayern, woanders Hollerküchle. Die Kücherl habe ich nur einige wenige Male in meinem Leben gegessen. Das erste Mal bei meiner Großmutter. Von der habe ich das Wort aufgeschnappt. Und dann in einem Freiluftcafé. Die Tische waren sogar umringt von einer Reihe mächtiger duftend blühender Holunderbäume. Nach der Bestellung nahm die Bedienung eine Schere und schnitt davon einen Zweig mit Dolden, so ausladend wie die Fußsohle eines Elefanten, ab. Und sie servierte nur wenige Minuten später genau denselben Zweig mit Brandteig umhüllt und frittiert: ein Hollerkücherl. Es dampfte noch etwas, der Puderzucker darauf glänzte, und als ich endlich hineinbeißen durfte, da schmeckte es unter der Kruste grasig grün, blütenstaub-süß und auch leicht säuerlich.

Es ist mir in den vergangenen Jahren selten gelungen, dieses Erlebnis zu wiederholen. Trotz meines Interesses für saisonale Gerichte. Hollerkücherl haben nur wenige Tage, vielleicht eine Woche Saison. Dann ist die Blütenpracht vorbei. Und ich fürchte, in diesem rasanten Frühling könnte das noch schneller passieren. Deswegen habe ich auch schon alles parat. Zwei Liter Öl zum Frittieren und alle Zutaten für den Teig, in den die Blüten getaucht werden: Mehl, Eier, Zucker und Bier. Er sollte schön flüssig sein, wenn man die Blüten eintaucht und dann ins heiße Fett gibt.

Das Bier ist wichtig. Haben Sie sich noch nie gefragt, warum? Bier enthält Alkohol und Kohlensäure, die zwei Stoffe, die auch im Hefeteig entstehen. Sie helfen dem Teig, in der Hitze des Fetts aufzugehen. Vor allem der Alkohol. Er verdunstet schon bei einer geringeren Temperatur als Wasser, bei etwa 78 Grad. Dadurch bläht sich der Teig beim Frittieren schneller auf, wird schneller kross, und die Holunderblüten im Inneren bekommen nicht so viel Hitze ab. Sie bleiben zart und frisch. Das will ich.

Man könnte für den Teig natürlich auch Wein nehmen, Weinschorle oder noch besser Sekt. Ich bilde mir aber ein, dass das Bier den Hollerkücherln eine schmackhafte, leicht bittere Hopfennote mitgibt. Man kann das noch steigern – mit herbem friesischem oder noch stärker gehopftem Bier. Das ist Geschmackssache. Ich esse Hollerkücherl hauptsächlich pur. Also mit Puderzucker. Aber es passt auch ein Erdbeerragout mit Zitronenmelisse dazu. Oder ein Gurkensalat. Für diese herzhafte Variante sollte man nur den Zucker aus dem Bierteig lassen. Es juckt mich, jetzt zu später Stunde nachzusehen, ob der knospende Holunderbusch noch sicher ist vor all den anderen Strauchdieben.

Nur eine Gruppe wird dieses Jahr ganz sicher das Nachsehen haben. Die, die im Herbst Holundersaft aus den Beeren pressen will.

Foto: dichohecho | CC

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