Ich habe da mal eine Frage, da muss mir jemand helfen. Warum gibt es vegane Wurst? Das Thema treibt einige Menschen um. Sie glauben, wenn überhaupt, dann könnte ich es wissen. Aber ich muss auch passen.

Vor Kurzem war ich am Wochenende auf einer Wurstmesse, sozusagen ein Hochamt für die Zipfel. Geräuchertes und Geselchtes von überall her lag auf den Markttischen oder hing an Stangen darüber: Lyoner und Krakauer, Salami und Schinken, Kaminwurz und Landjäger, Debreziner und Ahle Wurst und noch so einige mehr, deren Namen ich nicht behalten habe. An einem Stand gab es vegane Wurst. Einige Leute waren neugierig, probierten auch, zeigten Anerkennung, gingen dann aber schnell weiter und verschmolzen wieder mit der vereinten Fleischseligkeit. Ein Bekannter tippte mich auf die Schulter und stellte wieder diese Frage.

Es ist paradox: Warum soll man, wenn man sich gegen Fleischverzehr entschieden hat, ausgerechnet Gemüse in einer Form essen, die an nichts anderes als Fleisch erinnert? Man kann das nicht mal mit dem Genuss von alkoholfreiem Bier vergleichen, das man meist bestellt, wenn man noch fahren muss. Trockene Alkoholiker dagegen lassen tunlichst die Hände davon, wegen der Rückfallgefahr. Warum aber greifen dann ehemalige Fleischesser zu Wurst aus Gemüse. Ist das denn kein riskantes Spiel? Oder gibt es da einen Phantomschmerz, der gelindert werden muss?

Sieht man sich die Homepage des Deutschen Vegetarierbundes an, dann muss man sich falsche Wurst tatsächlich als Substitutionspräparat vorstellen: „Vegetarisch leben bedeutet nicht Askese, ganz im Gegenteil“, heißt es da. „Hunderte von Produkten und Rezepten warten darauf, von Ihnen entdeckt zu werden! Zum Einstieg und für die Übergangsphase sind gerade Lebensmittel vorzüglich geeignet, die sie sich problemlos in jede Mahlzeit anstelle von Fleisch, Wurst und Fisch integrieren lassen.“ Und dann werden Tofuprodukte und vegane Wurst beworben wie Ersatzdrogen.

Liebe Vegetarier, so wird das nichts. Wenn ihr nicht eigene Einstiegsdrogen findet, muss man sich als Fleischloser doch immer vorkommen wie ein halber Esser. Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich kenne einiges, was einen süchtig auf Gemüse machen kann. Ich mag Tofu und Tempeh, und auch vegane Wurst schmeckt, vor allem, wenn das Rezept sich nicht an irgendeinem fleischlichen Vorbild orientiert. Aber warum zum Henker soll man trotzdem noch Fleisch vor Augen und in den Ohren haben? Seitan-Gyros oder Soja-Hackfleisch: Muss das so heißen? Mir fällt auf die Schnelle zwar auch nicht so viel ein, aber wenigstens das: In Bayern wird eine Frikadelle auch Fleischpflanzerl genannt. Zucchini-Pflanzerl finde ich noch appetitlicher. Und auch noch doppeldeutig.

Wenn ich richtig schlau ankommen will, dann antworte ich auf die Frage nach der veganen Wurst, dass das gar keine neue Erfindung ist. In der buddhistischen Küche ist es eine über tausendjährige Tradition, Fleisch aus vegetarischen Zutaten nachzubauen und zu imitieren. Aber im Lichte meiner Argumentation hilft dieses Wissen auch nicht weiter. Es macht sogar alles nur schlimmer. Denn man kann das auch so sehen: Hier haben Vegetarier offenbar über unzählige Generationen einen ausgeprägten Minderwertigkeitskomplex weitervererbt.

So kann das einfach nicht weitergehen. Eine andere Herangehensweise muss her. Vielleicht sollten Vegetarier, die gefragt werden, warum sie das essen, einfach mit einer Gegenfrage antworten. Zum Beispiel: Warum essen Menschen Hummer? Keine Ahnung? Ganz einfach: Weil man ihn essen kann! Oder haben Sie eine bessere Idee?

Ein Gedanke zu “Fleisch aus Nicht-Fleisch

  1. Ich frage mal dagegen: Warum sollte es keine vegane Wurst geben?
    Die meisten, die sich hierzulande gegen tierische Produkte entscheiden, tun das aus ethisch-moralischen Gründen (Tierschutz, Welthunger, Klimarettung – von denen man halten kann, was man will; das ist eine andere Diskussion). Sie tun es in der Regel nicht, weil sie Fleisch und Wurst eklig finden. Und die meisten tun es nicht, um damit radikale Vorreiter einer neuen Art von Gemüse-Gourmetküche zu werden. Warum sollte es unter Veganern mehr radikale Gourmets geben als unter Nicht-Veganern?
    Essen ist kulturell gelerntes Verhalten. Die meisten Vegetarier und Veganer sind mit Fleisch und Wurst aufgewachsen; viele von ihnen haben positive Erinnerungen an die entsprechenden Gerichte, Aromen und nicht zuletzt Konsistenzen (Letzteres ein entscheidender Punkt, der für Seitan spricht). Wer sagt, dass man mit der Entscheidung, kein Fleisch oder gar keine tierischen Produkte mehr zu essen, alle bisherigen Vorlieben radikal negieren muss? Was ist verwerflich daran, wenn man irgendwann die Lust auf Würstchen mit einem Seitanwürstchen befriedigt? Das tue ich auch gelegentlich, und ich lebe omnivor.
    Ja, irgendwann kommt immer das Argument der hoch verarbeiteten Industrieprudkte und der bösen Zusatzstoffe versus „echter“ Lebensmitel. Bei vielen Seitanwürstchen sehen allerdings die Inhaltsstoffe keineswegs erschreckender aus als bei vielen Fleischwürstchen. Und irgendwie ist das Argument ja schon ein bisschen scheinheilig: Vegetarier und Veganer sind schließlich keineswegs die Hauptkonsumenten industriell produzierter Lebensmittel.

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