Es gibt Menschen, die halten ihr Smartphone auf Armlänge von sich weg und knipsen. Die Bilder, die anschließend ins Internet wandern, nennt man Selfies. Und es gibt Menschen, die halten ihr Smartphone ständig über Teller, Töpfe und Pfannen. Sie nennt man Foodies. Gibt es einen Unterschied zwischen diesen beiden Arten des digitalen Exhibitionismus? Wenn ja, ist er marginal. Spannend könnte es aber in beiden Feldern noch werden, denn vieles deutet auf eine neue fotografische Ehrlichkeitswelle hin.

Noch vor einiger Zeit reichte ein Blick ins Netz, um auf den Appetit zu kommen. Menschen dokumentierten Restaurantbesuche, ausgefallene Arrangements auf dem Teller, ihre oft gelungenen Versuche, am eigenen Herd ein Gericht zu fabrizieren, das wenigstens dem Anschein nach auch in einer Kochzeitschrift einen Abdruck wert wäre. Doch die Zeiten des Glamours gehen dem Ende entgegen. Authentizität ist das neue Motto. Auf den Tauschplattformen digitaler Panini-Bildchen, also auf Twitter, Pinterest oder Instagram, geben die Leute sich inzwischen lieber ehrlich – und posten verwackelte, grauschlierige Schnappschüsse ihrer Alltagsnahrung. Jetzt kommt die bittere Wahrheit ans Licht: Ein Bilderstrom, der es in seiner Albtraumhaftigkeit mit jedem Splatterfilm aufnehmen kann. Unter dem Suchbegriff #sadlunch oder #foodcoma findet man gleich eine ganze Reihe von Kotzvorlagen.

Der Käse verdeckt es unzureichend: Chili con Carne im Plastikbecher. Screenshot: dimlylitmeals.com

Mit ausgelöst hat diesen Trend Martha Stewart, die Über-Hausfrau der USA. Sie dominiert dort seit den 90er Jahren auf allen Kanälen die Themen Küche, Haus und Garten und hat damit ein Millionenvermögen gemacht, da sie recht unappetitlich an der Börse einsetzte. Insiderhandel lautete später der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, sie saß ein paar Monate im Gefängnis. Ein Millionenpublikum störte sich nicht groß daran und blieb Frau Stewart treu. Inzwischen ist die 72-Jährige längst wieder mit den Töpfen, Kissen und Blumenkübeln der Nation beschäftigt und zeigt den Amerikanern, wie die schönste aller heilen Welten auszusehen hat. Auf Twitter hat sie fast drei Millionen Follower. Als sie dort im November ein Foto von einer ziemlich missratenen Zwiebelsuppe postete, recht schwarz überbacken, prasselte es nicht nur Häme, es entbrannte ein visueller Shitstorm – allerdings ohne Zielperson. Viele stellten einfach Fotos ihrer eigenen Kochkatastrophen ins Netz. Inzwischen kann man auf Blogs ganze Kollektionen von Appetitzüglern besichtigen.

Aber halt: Ist das noch die richtige Einstellung zu Fotos in Zeiten des Internets? Das Lichtbild aus der Rollfilmkamera galt einmal als exaktes und beständiges Abbild der Wirklichkeit. Am Computer lässt sich nun fast alles retuschieren und montieren. Und die meisten Bilder sind genauso vergänglich geworden wie jede andere Statusmeldung auch. Mit dem Finger auf den Auslöser der Handykamera zu drücken ist einfacher, als einen 140-Zeiler auf Twitter zu senden. Mal ehrlich: Wie lange verweilen Sie bei einzelnen Bildern im Internet? Einen Schluck heißen Tee zu sich zu nehmen, dauert länger.

Das Bild eines guten Essens war noch nie haltbarer. Wer einen Teller anrichtet, egal ob es ein Schlag blassen Pürees in die dafür vorgesehene Kerbe auf dem Kantinentablett ist oder ein paar Tropfen Petersilienöl, die ein gebratenes Forellenfilet umspielen sollen, der will, dass das Bild demontiert wird – dass das Angerichtete gegessen wird. Nur der flüchtige Eindruck zählt! So gesehen sind Foodie-Fotos wahrscheinlich Selfies par excellence. Wenn man die neue Lust auf Fotos von verbranntem Käse einmal weiterdreht: Wäre es vorstellbar, dass wir künftig auch ganz fiese Aufnahmen von uns selbst ins Netz stellen? Ich glaube, der Trend hat schon begonnen.

Foto: BaileyRaeWeaver | CC

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.