Es mag Zufall sein, dass mir diese Woche an der Supermarktkasse besonders viele Kartons mit Tiefkühlpizzen aufgefallen sind. Und das nicht nur, weil sich noch eine Mutter mit einem ganzen Stapel Margheritas vor der Brust wie Pepe vor mich grätschte, als ich meine Einkäufe aufs Band legte. Ich hatte dann ein bisschen Zeit, mich umzusehen. Die meisten Kunden hatten tatsächlich Pizza und Chips in ihren Einkaufswagen. Es war keine Stunde mehr bis zum Anpfiff des Spiels Deutschland gegen Portugal.

Die WM hat begonnen. Und natürlich: Ich schaue Fußball, ich fiebere nicht nur mit einer Mannschaft mit. Aber wenn man ein guter Esser ist, dann bedeuten die Wochen bis zum 13. Juli, dem Tag des Endspiels, auch eine schwierige Strecke. Ich frage mich, ob ich hier deshalb etwas über Essen erzählen kann? Einen Bericht aus der kulinarischen Ödnis liefern? Ich werde an dieser Stelle nicht über Fingerfood schreiben. Ich habe auch keine Tipps für kulinarische Snacks. Und am allerwenigsten komme ich auf die Idee, etwas über brasilianische Küche zu erzählen. Die Deutschen wissen nichts darüber – und zu Recht. Das kann ich beurteilen, weil ich etwas mehr darüber weiß.

Aus den Supermarktregalen prasselt jedenfalls geballte Kompetenz auf mich ein. Da kann man sich zum Beispiel Kartoffelchips mit irgendeinem brasilianischen Fantasiegewürz besorgen, Hauptsache mit fruchtig-exotischer Note. Oder man kann zum deutschen Teamgeist greifen, geballt in Schokolade, Grillfleisch, Limo oder Bier. Nur eines vermisse ich in dem ganzen Angebot wirklich: Müsli, das als Gimmick noch schwarz-rot-goldene Außenspiegelsocken enthält. Warum ist darauf noch niemand gekommen? Für die eigene Kreativität überschlagen sich die Kochzeitschriften ebenfalls mit Vorschlägen zu Beilagen für einen gelungenen Fußballabend. Überall Rezepte für Tortilladips, Buletten à la Ipanema oder Copacabana-Spießchen. Ich aber mache da nicht mit.

Es ist doch so: Wenn es um Fußball geht, hat sich das Essen unterzuordnen. Selbst vor dem Anpfiff ist nie genug Zeit, noch in Ruhe zu essen, vor allem, wenn die Kohlen nicht rechtzeitig heiß geworden sind, aber schon die Hymnen aus dem Fernseher schallen. Die Vorfreude hat da längst ein anderes Ziel. Ich kenne viele Menschen, denen man zu diesem Zeitpunkt nicht nur halbrohe Würstchen in die Hand geben könnte, sie würden auch Plastik in sich reinstopfen. Die Augen sind ganz woanders.

Dass man beim Fernsehen nicht hinsehen muss, was man isst: Darauf vor allen Dingen kommt es bei TV-Nahrung im Allgemeinen und bei WM-TV-Nahrung im Besonderen an. Schön anzusehende Snacks braucht deshalb kein Mensch. Es zählt vielmehr der Klang, denn hören wollen die meisten offenbar schon, was sie da in den Mund nehmen, vielleicht ist es sogar angenehm, wenn vom Chipskrach im Mund Béla Réthy oder Steffen Simon übertönt werden. Wenn nicht, wird die Kiste einfach lauter gestellt. Und: Ob man isst und wie es einem schmeckt, hängt, wenn man vor dem Fußball sitzt, doch wirklich nicht von dem ab, was einem die Zunge bietet. Appetit bekommt man entweder weil das Spiel so spannend ist oder weil es langweilt.

Deshalb: Ich greife in diesen Wochen auch zu Junkfood. Ich benutze Fußballereignisse sogar, um Überbleibsel aus den Vorratskammern zu vernichten. Angebrochene Knäckebrotpackungen aus dem Vorjahr oder Pralinenmitbringsel: Kommt jetzt alles mal weg. Essen kann mit einem Fußballereignis ohnehin nicht konkurrieren. Diese Welten sind getrennt. Das eine ist Haupt-, das andere ist Nebensache. Und wenn die Nebensache mal Hauptsache wird, sollte man das akzeptieren. Es dauert ja nur vier Wochen.

Foto: coldpants | CC

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