Die neue Lässigkeit

Das neue „Guten Appetit“ heißt „Viel Spaß“. Jedenfalls begegnet es mir umso öfter, je teurer die Gerichte auf der Speisekarte sind. Wenn der Kellner das sagt, nach einem langen Vortrag, von dem ich nur behalte, dass der in Kräuteressig gebeizte Zander aus dem Greifswalder Bodden auf meinem Teller in einem Sud aus heimischen Pastinaken und Kerbel schwimmt und darauf Gewürzgurkenschaum thront, etwas Kardamom-Crunch darübergestreut wurde – wenn er mir dann also „Viel Spaß“ wünscht, muss ich erst einmal schlucken. Auf der Karte heißt das Gericht einfach „Zander, Gewürzgurke, Kardamom“. Was waren jetzt noch mal die gelben Kleckse im Sud? War da nicht auch noch von Roggen die Rede? Die Aufzählung all der Komponenten auf dem Teller gleicht heute IQ-Tests, bei denen man sich in Sekunden drei Dutzend Dinge merken soll. Und dann nach „Spaß“ verlangen. Geht’s noch?

Kellner mit Tablett
Ausschnitt aus einem Poster von Ludwig Hohlwein für das Restaurant im Deutschen Theater, München, 1907

Ich habe eigentlich nichts dagegen. Das „Guten Appetit“ hat mich schon immer gestört. Außerdem habe ich stets Appetit, wenn ich in einem Restaurant sitze, vor allem in einem guten. Und ein Koch, der weiß, er braucht meinen Heißhunger nicht als weitere Zutat, um mich von seinem Geschmack zu überzeugen, ist mir auch recht. In dem Wunsch nach „Viel Spaß“ steckt Selbstbewusstsein, Könnerschaft, und ja – ich nehme es auch als Aufforderung, mit dem Essen ein bisschen zu spielen. Kein Spaß ohne etwas Anarchie. Warum also nicht den Kardamom-Crunch aus dem Schaum picken oder vielleicht sogar ein Stück Zander ins Wasserglas tauchen, um den reinen Geschmack des Fischs zu erleben?

Das ist heute kein Ding der Unmöglichkeit. Es geht in feinen Lokalen viel lässiger zu als früher. Die weißen gestärkten Tischdecken sind weg, auch kompliziert gefaltete Servietten. Und die Livreen des Personals sind verschwunden, was manch einer bedauern mag. Ich finde es gut. Die Haute Cuisine ist niedrigschwelliger geworden, das marinierte Drumherum weicht der Konzentration auf Essen und Geschmack. Der Gast hat einfach mehr davon, wenn Bedienungen sich nicht darin üben müssen, die Cloches, diese silbernen Glocken, so synchron vom Teller zu ziehen, als handelte es sich um eine olympische Disziplin. Wenn sie stattdessen qualifiziert etwas über die Küche des Lokals erzählen können. Da wechselt man im Laufe eines Abends bisweilen sogar zum intimen Du. Ich habe viel Respekt vor dieser neuen Nonchalance. Sie ist mutig und aus Sicht der Servicekräfte harte Arbeit. Denn das Risiko, im Umgang mit den Gästen Grenzen zu übertreten, ist hoch, höher jedenfalls als bei der uniformen, distanzierten Höflichkeit von früher.

Nur, ich bekomme die neue Nähe nicht mit der Mode zusammen, Speisekarten so sparsam wie nur möglich zu formulieren: „Zander, Gewürzgurke, Kardamom“ oder „Zitronenhuhn, Petersilie, Amalfi-Zitrone“. Man könnte das freundlich als neue Sachlichkeit bezeichnen. Aber diese Lust am Dreiklang verdirbt mir manchmal den Appetit. Sie ist distanziert, blasiert, unterkühlt. Und sie führt auf den Tellern übrigens oft zu einem Einerlei aus etwas Festem, etwas Flüssigem, etwas Cremig-Schaumigem und Crunch. Nur die Aromakombinationen ändern sich.

Ich warte nur darauf, dass mir bald in einem bayerischen Gasthof der Schweinebraten mit Knödeln als „Schwein, Kohl, Weizen“ auf der Karte angeboten wird. Wenn der Teller käme, müsste der Kellner dann zu länglichen Referaten ansetzen, und ich müsste Angst vor dem Erkalten des Bratens haben.

Foto: MCAD Library | CC

Das sittenlose Mahl

Ein Tischbock, daran zwei Bänke geschraubt, das ist das Herz der französischen Esskultur. Wenn ich auf einer der vielen routes nationalesin dem Land unterwegs bin, wundert mich immer die Zahl der Rastplätze entlang dieser Landstraßen. Trotzdem: Ist zwölf Uhr vorbei, sollte man sich beeilen, um noch einen der zahlreichen Picknicktische unter reichlich Schatten spendenden Platanen oder Kastanien zu ergattern. Sonst hockt man in der Wiese und muss von dort aus mit ansehen, wie aus großen Kühltaschen Käse und Wurst ausgepackt werden, Schüsselchen mit Salaten, Tomaten und Honigmelonen, vielleicht eine kleine Flasche Rotwein, auf jeden Fall aber Wasser und eine Thermoskanne Kaffee. Es versteht sich, dass darunter eine Tischdecke ausgebreitet worden ist.

Das Essen im Freien – in Deutschland hat sich darum in den vergangenen Jahren eine ausgefeilte Grillkultur entwickelt, im eigenen Garten, mit immer ausgereifterer Technik. Man muss dafür nur die entsprechenden, immer größer werdenden Abteilungen in unseren Bauhäusern besuchen. Wenn man dann noch das deutsche Rastplatzgeschehen ansieht, kann man sagen: In anderen Ländern wie Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien, vielleicht auch Italien und Spanien, heißt Freiluftkulinarik vor allem Picknick.

Picknick auf Wiese
Beliebtes Wiener Picknickziel: Die Arenawiese im Prater

Ein Picknick kann man nicht im eigenen Garten machen, hinter Zäunen oder Koniferenhecken, das finde ich daran so sympathisch. Es ist eine Sache für die Öffentlichkeit, für den Park oder die freie Natur. Briten und Franzosen streiten sich, wer das Wort erfunden und als Erster damit angefangen hat. Dabei hat das kulinarische Open Air viel ältere Wurzeln, schon im Neuen Testament ist ein Picknick, die Brotvermehrung, überliefert.

Trotzdem spielt es eine Rolle bei der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft Ende des 18. Jahrhunderts. Die Geschlechter trennten sich normalerweise nach dem Essen, beim Picknick war das nicht möglich. Es war in einer Zeit, in der am Tisch unzählige Rituale galten, die erste sittenlose Mahlzeit. Und man durfte dabei sogar im Gras liegen und die Finger benutzen.

Mein liebstes Picknick besteht aus einer Salami, einer Stange Baguette und Kaffee aus der Thermoskanne. Das ist die Basisvariante. Ich brauche dafür keinen Tisch, sondern nur weiches Gras auf einer schattigen Lichtung am Wegesrand. Nach einigen Stunden Wanderungist solch eine Mahlzeit köstlicher als jedes Menü in einem Sterne-Restaurant. Die Hauptzutat gibt es gratis und im Überfluss: frische Luft, an dem einen Platz geschwängert von Pinienduft, an dem anderen voll von frischem Heu und Wiesenblumen oder moosig-feucht an einem Bach im Wald.

Wenn ich Urlaub mache, wie gerade wieder im Périgord, gehe ich fast täglich wandern. Das Laufen tut gut, am meisten freue ich mich aber auf den Appetit, den ich dabei nach ein paar Stunden entwickelt habe und der das einfachste Essen so ausgemacht schmackhaft macht. Ich bin nach diesem Hunger süchtig. Manchmal stelle ich mich frühmorgens in die Küche, um noch eine Schale Taboulé oder Linsensalat mit in den Rucksack zu packen. Reste vom letzten Abendessen sind auch nicht zu verachten. Vielleicht noch eine halbe Flasche Rotwein. Perfekt ist, wenn ich beim Laufen noch etwas zum Dessert auftreibe: Trauben von einem Weinfeld, einen Birnbaum mit reifen Früchten. Oder wenn die Dornen am Wegesrand etwas hergeben. Und wissen Sie, was: Hier in Frankreich haben die Brombeeren gerade Hochzeit.

Foto: Siegmund Führinger | CC

App ins Restaurant

Neulich kam ich in ein Restaurant und sah, ich muss sofort wieder gehen. Die Tische waren leer, leichte Musik hallte unter der Decke. Nur am Tresen standen, fast wie auf dem berühmten Gemälde von Edward Hopper, drei junge Männer und hatten ihre würfelförmigen Rucksäcke auf den Barhockern geparkt.

Wussten Sie eigentlich, dass Edward Hopper auf seinen Gemälden oft Restaurantszenen abgebildet hat, nicht nur in Nighthawks von 1942, dabei aber ganz selten ein Teller zu sehen ist, geschweige denn etwas darauf?

Beim Verlassen des Lokals befiel mich eine grauenhafte Vision. Die drei Männer waren Fahrradboten für zwei neuartige Restaurantlieferdienste. Bisher musste man ja meist selbst das Haus verlassen, um sich um die Ecke eine Pizza zu holen. Oder es kam der Sohn des Wirts, wenn man beim Inder bestellte. Die Idee von Deliveroo und Foodora ist, das Liefergeschäft abzukoppeln, mit so viel Restaurants wie möglich zusammenzuarbeiten, eine megalomane Speisekarte im Internet oder besser als Smartphone-App anzubieten und so praktisch jedes Gericht auf den heimischen Esstisch liefern zu können.

Premium Takeaway, so nennen sie das Konzept, und sie haben damit so viel Startkapital eingesammelt, dass die ganze Stadt, in meinem Fall Berlin, mit Werbeplakaten gepflastert ist. So ein Lieferdienst hat große Vorteile, zum Beispiel, wenn ein Paar oder eine Familie sich nicht darauf einigen kann, wohin man am Abend ausgeht. Dann bestellt Papa im Steak-Restaurant, Mama beim Italiener, die Tochter vegan und der Sohn beim Tex-Mex-Laden, Nachos extra. In meiner Vision sah ich Männer mit isolierten Würfelrucksäcken in sonst leeren Restaurants Schlange stehen und der Reihe nach an Haustüren klingeln. Und ich fragte mich: Wo zum Teufel soll ich in Zukunft essen? Muss ich mich doch in leere Restaurants setzen?

Restaurants sind schließlich nicht zum Essen da, vielleicht sogar am wenigsten. Aber das Essen ist es, was die verschiedensten Menschen zusammenführt, zum Reden bringt, ein kleines vorübergehendes Soziotop formt, das Erlebnis schafft, weil man etwas teilt: einen Tisch, einen Raum, die Bedienung, vielleicht sogar dasselbe Gericht. Für mich gehört das Miteinander so zum Genuss wie ein Wirt, der mit Leidenschaft erzählt, warum seine Fettuccine die besten der Welt sind. Darauf soll ich verzichten?

Neulich kam ich in ein anderes Restaurant, da waren die Lichter wie Spots nur auf den Tisch gerichtet. Die Gesichter der Gäste lagen im Dunkeln. Und die Bedienung konnte ich nur nach der Stimme orten. Man sollte nur das Essen sehen. Auch da kam mir der Gedanke: Werden Restaurants irgendwann mal nur noch Showrooms ihrer Speisekarte sein, so wie der Apple-Store? Halt. So weit ist es längst nicht. Es gibt ja noch ganz andere Bestell-Apps, nämlich für Restauranttische. Auch ich marschiere inzwischen nicht einfach mehr in ein Lokal, sondern mache auf Quandoo oder Opentable oft kurzfristig einen Tisch klar. In einer Großstadt wie Berlin ist das nötig, vor allem ums Wochenende herum. Die Reservierungswut ist immens, man kann jederzeit kostenlos stornieren.

Doch es gibt auch Wirte, die sich inzwischen beklagen, auf wie vielen reservierten Tischen sie sitzen bleiben. Was macht die Appisierung mit der Restaurantwelt? Mir werden Lokale immer lieber, die Reservierungen ablehnen und auch nicht außer Haus liefern. Ich hoffe, sie sind die Zukunft.

Foto: Sam Saunders | CC

Aber bitte mit ohne alles

Neulich war ich mal wieder im Supermarkt und stand staunend vor einem Regal mit Mayonnaisen ohne Ei. Was für ein Sortiment: Mayo aromatisiert mit Senf, mit Basilikum, mit Petersilie, mit Balsamico. Mit Zitrone und Dill. Ich war kurz versucht, gleich zwei Gläser in den Einkaufswagen zu packen. Im nicht eifreien Regal dagegen gab es nur mehr Markennamen, aber keine größere Vielfalt, sondern einfach Mayonnaise, die sich nur im Fettgehalt unterschied.

Zeichen "Fotos verboten"
Auch dieser Text ist ausnahmsweise mal ganz „free from“

Ich hätte den Einkaufswagen auch mit anderen spannenden Dingen vollladen können: mit glutenfreier Pfannkuchenmischung mit Tapioka, mit Stevia gesüßten Marmeladen, laktosefreier Nusscreme und getrockneten Kombu-Algen, die wegen ihres hohen B12-Anteils für Veganer empfohlen werden.

Ich stand fasziniert vor den Regalen und erinnerte mich, wie hier bis vor kurzem noch die ganze Welt zu Gast war. Jüngst waren es noch die unterschiedlichsten japanischen Nudeln: Ramen, die asiatischen Suppen-Spaghetti, Soba aus Buchweizen und dicke Udon-Schlangen. Dazu Miso, also fermentierte Sojapaste, von hellgelb bis schwarzbraun. Davor standen amerikanische BBQ-Saucen in einer Auswahl, die einen schwindelig machen konnte.

Der Kosmopolitismus ist jetzt also erst einmal passé. Stattdessen überall Produkte aus der Free-from-Welt. Ich finde es äußerst vielsagend, dass Waren, die auf die um sich greifenden Lebensmittelunverträglichkeiten eingehen, nun in der Exoten-Ecke Platz bekommen. Auch das Bio-Segment ist einst aus einem Gefühl entstanden, das man als Unverträglichkeit beschreiben könnte. Der Umgang mit der Natur und den Arbeitern in der Produktion stieß immer mehr Kunden sauer auf. Die ersten Bio-Produkte nahmen im konventionellen Supermarkt ebenfalls auf den Sonderverkaufsflächen Raum. „Mal sehen, wie lange der Trend anhält“, denkt sich wohl jede Supermarktkette. Mal sehen, wann der Konsument seinen Spleen wieder vergisst.

Inzwischen habe ich einen sehr eigenen Spleen entwickelt: Ich beschränke meine Supermarktbesuche auf die Besorgung des Notwendigsten. Es ist nur mein professionelles Interesse als schreibender Koch, das mich alle paar Monate mal durch die Gänge führt. Um den Kontakt zur bunten Warenwelt zu halten und mein Bild dessen, was ich den breiten Geschmack nenne, zu aktualisieren. Es kann in die Hose gehen, wenn man den nicht mehr kennt, vor allem, wenn man für Kinder kocht.

Ansonsten könnte man mich als super-free-from beschreiben. Ich beschränke mich beim Einkauf auf Grundprodukte. Ich mache meine Mayonnaise selbst, für Ketchup und Chutneys oder Marmeladen stelle ich mich an den Herd. Pommes schneide ich selbst, für Pizza rühre ich einen schnellen Hefeteig an. Seit kurzem lege ich Gemüse ein. Die einzigen Fertigprodukte in meinem Haushalt sind Brot, Nudeln und Käse, manchmal Wurst.

So kann ich jederzeit von einem Free-from-Konzept zum nächsten wechseln. Ohne Fleisch, ohne Zucker, ohne Nüsse, ohne Gluten, ohne Laktose oder Fruktose. Ich lasse den Bauch entscheiden, das empfinde ich als einen Akt der Emanzipation. Was auch dazu führt, dass ich einem Gast, der kein Ei verträgt, keine Mayonnaise vorsetzen muss und dem Vegetarier kein Ersatzschnitzel. Ich weiß nicht, ob aus Super-free-from ein Trend werden könnte. Ich hätte nichts dagegen. Nur, was stünde dann auf den Sonderregalen in den Supermärkten? Sie wären wahrscheinlich leer.

Brot und Sahnekaramell

Braukunst gibt sich gern mittelalterlich. Findet sich ein Datum, das in die Nähe der Verkündung des bayerischen Reinheitsgebots von 1516 fällt, am besten noch vorher, kann kein Unternehmen widerstehen. 1447 ist so eine Jahreszahl, geschichtlich völlig bedeutungslos: In Straßburg war Johannes Gutenberg noch mit den Kinderkrankheiten seiner Druckerpresse beschäftigt, die Renaissance ließ noch ein paar Jahre auf sich warten.

zoetler1447Doch in einem Ort im Oberallgäu gibt die Kirchenchronik von 1447 Auskunft über die Gründung einer Brauerei. Und weil die Pfarrer das Geschehen vor Ort bis heute so sorgfältig dokumentiert haben, nennt sich die Privatbrauerei Zötler in Rettenberg am Fuße des Grünten heute mit einigem Recht das „älteste Familienunternehmen Deutschlands“. Schon in der 20. Generation wird hier Bier gebraut.

Die Flasche, die die Allgäuer mit der Jahreszahl verziert haben, möchte dennoch den sich ändernden Trinkgewohnheiten entsprechen und maximalen Geschmack bei minimalem Alkoholgehalt bieten. Das unfiltrierte Bier ist deshalb, auch wenn es mit der für diesen Bierstil typisch zurückhaltenden Kohlensäure daherkommt, kein übliches Zwicklbier: Die feine Trübung entsteht durch den Einsatz einer obergärigen Ale-Hefe, gemeinsam mit den zwei verwendeten Hopfensorten sorgt sie „für das frische, fruchtige Aroma“, wie es auf der Website von Zötler heißt.

Tatsächlich riecht das 1447 recht malzig und nach Sahnekaramell. Der Körper ist, auch wegen des fehlenden Bitzelns, cremig und läuft gut in die Kehle. Das Karamell wird von leichten Getreidenoten ergänzt, was an Brot erinnert. Im leicht bitteren Abgang verabschiedet sich das Bier mit einer Spur grasigen Hopfens. Ganz so zukunftsgewandt ist das 1447 also doch nicht.

1447 naturtrüb, Privatbrauerei Zötler, Stammwürze 12,5 %, Alkohol 4,9 % Vol.

Ein Kölsch von rechts der Elbe

Könnte ein Funkenmariechen sein, die blau gekleidete Frau mit den blonden Zöpfen auf dem Etikett, nur der Dreispitz fehlt. Und: Das Stammhaus der Brauerei liegt tatsächlich in Cölln, wenn auch in Sachsen, auf rechtselbischer Seite.

elbsommerEs gäbe also einige Gründe, von einem Kölsch zu sprechen. Gebraut ist das Elbsommer aus der Privatbrauerei Schwerter Meißen ganz nach dem rheinischen Verfahren. Aber man sollte vorsichtig sein, Kölsch zu nennen, was nicht aus Köln kommt. Am Rhein wird die Marke, die noch gar nicht so alt ist, eifersüchtig bewacht. Obwohl erst 1918 erstmals ausgeschenkt, ist Kölsch eine der ältesten geschützten Herkunftsbezeichnungen in Deutschland. Und es gibt nicht mal mehr ein Dutzend Hersteller, die das Bier brauen, das in niedlichen Gläsern, den Stangen, und im Kranz serviert wird. Da kann Abgrenzung nicht schaden, wenn die Konkurrenz die Pilspfade verlässt und es auch mit hellen, obergärigen Bieren versucht – lange so etwas wie ein Monopol der Kölner. Mit obergärigen Hefen lässt sich meist mehr Aroma erzielen als mit der vom Pils bekannten untergärigen Verwandtschaft.

Genau daher eignet sich das Kölsch eben doch gut als Vergleich, um das Saisonbier aus Sachsens ältester Privatbrauerei zu beschreiben. Das Elbsommer aus Meißen hat einen ähnlichen Alkoholgehalt, bei gleicher Stammwürze. Die Farbe ist hellgolden, leicht trüb, die Schaumkrone fast weiß und sehr cremig. Das kann sich sehen lassen. Doch was sich als erfrischend spritziges Bier präsentiert, kommt mit einem extrem schlanken Körper. Man merkt ihm kaum Malzaromen an, anders als den meisten Vertretern vom Nordrhein. Dafür setzt sich ein bitter-fruchtiges Aroma durch, mit leicht zitronigen Anklängen. Im Abgang ist das Bier recht trocken. Je mehr man trinkt, desto klarer wird: In kölschen Stangen hat es doch wenig zu suchen.

Elbsommer, Privatbrauerei Schwerter Meißen, Stammwürze 11,5 %, Alkohol 4,5 % Vol.

Ein Essen in Freiheit

Kaum dass die ersten warmen Abende heraufziehen, kann man es schon an allen Ecken wieder riechen, in den Parks, von Balkonen oder durch dichte Hecken im Schrebergarten: glimmende Kohle, verbranntes Fett, verdampftes Löschbier. Aber so ist das im Frühling. Er weckt eine unbändige Lust, nacktes Fleisch in die Wärme zu halten, nicht nur das eigene.

kirschblütenIch habe überhaupt nichts dagegen. Ich wundere mich nur, welch Aufwand da oft betrieben wird. Muss es denn immer Grillen sein? Vergleichen wir es mit dem Camping: Ein Barbecue kommt mir da oft vor wie eine Reise mit dem Wohnmobil. An was muss man nicht alles denken: An den Grill, die Kohle, den Anzünder. Ist der Rost sauber? Was nimmt man als Blasebalg, um die Glut anzufachen? Teller, Besteck, Grillsoßen – all das will bedacht sein. Wie einfach ist es dagegen, ein kleines Picknick zu organisieren. Das ist wie eine Wandertour, auf der man nur den Schlafsack dabei hat. Denn für ein Picknick braucht man fast gar nichts: sein Essen, eine Decke und ein Taschenmesser.

Picknick ist für mich das wirkliche Essen im Freien. Eines, bei dem es ganz anders schmeckt. Und oft viel besser. Ich erlebe das immer wieder. Ein Apfel, eine Tomate, eine kleine Salami und frisches Brot: Was einem beim Abendbrot am Tisch gewöhnlich und vielleicht auch ein wenig ärmlich vorkommt, wird zum Festmahl, wenn es unter dem freien Himmel genossen wird, bei herrlichem Ausblick, auch wenn sich die Kante eines Feldsteins in den Hintern bohrt oder schon die Ameisen beginnen, ihre Autobahnen auf der Picknick-Decke anzulegen.

Picknick bedeutet Freiheit, nicht nur im Freien essen. Zwar haben die Menschen das schon immer getan, aber Picknick ist doch mehr: Man verlässt den Esstisch zuhause mit den angestammten Sitzplätzen und sucht sich eine eigene Tafel unter Bäumen, jede Sitte lächerlich wird – und niemand was dagegen hat, wenn sich der Gegenübe genüsslich die Finger ableckt.

Man muss sich das Picknick, als es erfunden wurde, als kleinen Ausbruch von der Bürgerlichkeit vorstellen, als Mini-Rebellion. Wann genau das passierte, ist nicht mehr zu sagen. Sowohl Engländer wie Franzosen beanspruchen die Urheberschaft. Nach der französischen Theorie setzt sich das Wort pique-nique aus den Vokabeln piquer (stechen oder stehlen) und nique (veraltet: Kleinigkeit) zusammen. Die erste schriftliche Erwähnung findet sich in dem Roman „Les Caractères“ des französischen Schriftstellers Jean de La Bruyère, das 1688 erschien. Allerdings wird damit beschrieben, wie der Protagonist sich von dem Essen, das seine Gäste mitbringen, einen Teil für sich beiseite legt.

Lange bezeichnete pique-nique eine Mahlzeit, zu dem jeder etwas beisteuerte und die nicht zwingend draußen stattfand. So erläutern es auch Jacob und Wilhelm Grimm 1889 in ihrem Deutsche Wörterbuch. Im französischen Sprachgebrauch haftete dem Wort lange etwas Verwerfliches an. Der „Almanach des Gourmands“ von 1806 bezeichnet es als Zusammenkunft einer beschränkten Anzahl von Männern und gleich vielen Frauen. Bei der Beschreibung wird deutlich, dass es nicht um das Essen allein ging.

Die Engländer haben ihre eigene Theorie entwickelt. Das Wort komme von von pick, greifen, und nick, einem alten Begriff für den Augenblick, sagen sie. Wie auch immer. So fern von der französischen Definition liegt das nicht. Viel wichtiger: Sie waren es, die für die frische Luft sorgten. Bis heute machen sie es der wohl begeisterten Picknickerin der Geschichte nach, Königin Viktoria, die häufig im Freien speiste. Ein Engländer lässt sich von keiner noch so dunklen Regenwand davon abhalten, in der freien Natur die Sandwichs auszupacken und die Thermoskanne mit Tee aufzuschrauben. Ich weiß auch warum. Das labberigste Sandwich schmeckt auf einmal wie großes Kino.

Die Heuchelei mit der Knolle

Knoblauch muss ein ganz gefährliches Zeug sein. Es greift die Hände an, ist eventuell giftig oder sogar radioaktiv. Man sollte es auf alle Fälle nur mit spitzen Fingern anfassen.

Warum? Nein, das fragt niemand. Ich muss mir nur ansehen, was so alles auf dem Markt ist, nur damit man mit den kleinen Zehen nicht in Berührung kommen muss: Knoblauchreiben in allen möglichen Formen und mit ergonomischen Griffen, passend für jede Hand, so viele gibt es. Noch mehr Knoblauchreiben, aus Edelstahl, Aluminium oder Plastik – mit oder ohne Selbstreinigungsfunktion. Sogar eine Schälhilfe habe ich entdeckt – ein Silikonschlauch, sozusagen ein Knoblauchkondom. Die Zehen werden darin eingesetzt, der Schlauch anschließend mit etwas Kraft auf dem Küchentisch ein paar Mal hin und her gerollt und dann ist die Schale ab, verspricht die Verpackung. Und die Hände bleiben sauber. Also, da kann mir niemand was erzählen. Da ist ein riesiger Bedarf. Mit Knoblauch kommt man am besten nicht in Berührung.

knoblauch
Eine Schönheit, die stinkende Finger macht. Aber dagegen gibt es ein einfaches Mttel

Oder besser: Hat man nicht in Berührung zu kommen. Neulich war ein Freund bei mir zum Kochen da. Dass in einer ganz passabel ausgestatteten Küche keine Knoblauchpresse zur Hand war, sondern sich schließlich ein uraltes, angelaufenes Exemplar im letzten Winkel einer Schublade anfand, löste ein sehr ungnädiges Kopfschütteln aus.

Ich brauche solche Dinger nicht mehr. Knoblauch zu behandeln, das ist hierzulande eine Wissenschaft, an der man den echten Amateur erkennt. Ich kann nicht mehr hören, wenn mir Leute erzählen, dass der grüne Spross aus der Zehe entfernt werden muss. Sonst wird das Essen bitter. Stimmt, wenn man mehr Knoblauch verwenden würde als die meisten von uns es tun. Und wenn man zusätzlich den Knoblauch anbrennen lassen würde, was mit dem gepressten und geriebenen Zeugs auch ganz leicht gelingt.

Wo viel Knoblauch gegessen wird, macht man nicht so ein Gewese. In Chinas Nudelküchen liegt neben Sojasauce und Essig oft eine Knolle rohen Knoblauchs. Das ist keine Deko. Man bricht sich einfach eine Zehe aus der Knolle, schält und isst sie. Und in den Küchen habe ich Kinder gesehen, die mit Messern, die in unseren Augen Hackebeilen gleichen, Knoblauch feiner hackten als es viele Küchenhelfer vermögen.

Man kann Knoblauch aber selbstverständlich auch mit einem hiesigen Küchenmesser kleinschneiden. Ohne Zeitverlust. Das erfordet nur ein bisschen Übung. Und eine andere Haltung. Denn wer sagt, dass Knoblauch in mikroskopisch kleine Partikel geschnitten werden muss. Hat sich schon mal jemand an einem Brocken Knoblauch ein Zahn ausgebissen? Oder hat ein zu großes Stück Ekel ausgelöst?

Wer Knoblauch bis zur Unkenntlichkeit im Essen verstecken muss, ist ein Heuchler. Und oft dieselben Menschen, die in diesen Tagen wieder aufbrechen, um in Wäldern und auf Märkten Büschel von eindringlich und scharf riechendem Bärlauch zu sammeln. Knoblauch gehört nicht ins Essen wie Salz in die Suppe. Viele mediterrane Gerichte kommen gut ohne aus. Und in andere kann man nicht genug hineingeben. Zu Lammbraten werfe ich ganze Knollen mit in den Ofen und esse den Knoblauch, der im Fett süß karamellisiert, wie Gemüse.

Greifen Sie doch mal eine rohe Zehe an, zerdrücken Sie mit den Fingern. Nehmen Sie ein Messer und würfeln Sie den Knoblauch. Sehen Sie sich an wie gut das aussieht, verglichen mit den matschigen Würmern aus der Presse. Zerteilen Sie die Zehen grob, streuen Sie etwas Salz darauf und zerquetschen Sie mit der breiten Seite der Klinge. Schaben Sie mit Druck über das Schneidbrett als ob Sie das Messer schärfen wollten. Es entsteht ein feines Mus. Nur eine Messerspitze davon bringt richtig Bums in Linsen- oder Kartoffelsalat.

Sie haben Angst, dass ihre Finger nach so einer Aktion noch Tage stinken? Mit Recht. Aber dagegen gibt es ein Mittel: Edelstahl und Wasser. Wischen Sie mit nassen Fingern über die Innenseiten der Spüle. Oder durch einen Topf. Warum das den fiesen Geruch vertreibt, weiß nicht mal die Wissenschaft genau zu erklären. Aber es wirkt.

Wenn Sie das alles getan haben und Ihre Knoblauchpressensammlung noch immer behalten wollen, dann … soll es mir eben recht sein.

Ouvertüre mit Safran

Wenn mir ein Gericht schiefgeht, dann merke ich oft: Es war schon von Anfang an alles falsch. Ich habe die Einkäufe nicht ausgepackt, die Zutaten aus den verschiedenen Tüten herausgerissen, war einfach nicht bei der Sache, und als es daran ging, die Nudelsoße zu probieren, habe ich noch nebenbei telefoniert und mir prompt die Zunge verbrannt. Und jetzt schmecke ich gar nichts mehr.

Safran zerbröseln, heißes Wasser drauf
Ach was, die Farbe. Da ist der Geruch, der aufsteigt

Man muss sich manchmal in den richtigen Mood versetzen, es mit dem Kochen langsam angehen lassen, auch wenn man in einer Stunde im Kino verabredet ist: Sonst kann so viel schiefgehen, dass es besser gewesen wäre, man hätte sich einfach ein paar gute Butterbrote geschmiert.

Im Alltag beginnt das Kochen in vielen Fällen mit ein oder zwei Zwiebeln. Kaum eine Nudelsoße kommt ohne aus. Auch ein Risotto verlangt ein sogenanntes Sofritto. Dafür müssen mindestens Zwiebeln und Knoblauch geschält und gehackt werden. Ich schätze, fast die Hälfte all meiner Rezepte beginnen damit, dass ich eine Gemüsezwiebel zur Hand nehmen muss. In den ersten Minuten mit tränenden Augen am Herd zu stehen: Ich kann mir was Besseres vorstellen. Glücklicherweise bin ich in puncto Zwiebeln inzwischen etwas abgehärtet. Aber ein wirklich schöner Auftakt sieht anders aus.

Um Muße zu finden, lege ich vor dem Kochen manchmal gute Musik auf oder schenke mir ein Küchenbier ein. Ganz selten versammele ich auf dem Küchentisch sämtliche Zutaten, die in der nächsten Stunde zum Einsatz kommen werden. Vor allem bei komplexen Rezepten, die man das erste Mal kocht, empfiehlt sich das aber. Auch sich endlich mal wieder mit Messer und Wetzstahl zu beschäftigen, ist ein guter Warmmacher. Für mich ist derzeit der Der wunderbarste Einstieg ins Kochen, wenn ich einige Fäden Safran mit einem winzigen Schuss Wasser aufbrühen darf. Ich nutze jede Gelegenheit dazu.

Safran steckt bei mir in diesen Papierumschlägen von der Größe einer Briefmarke. Das ist eine Verpackung, so klein, dass man von selbst ganz vorsichtig mit ihr umgeht und die rot-goldenen Pretiosen mit spitzen Fingern, sehr behutsam und am besten die Luft anhaltend aus dem Papier nimmt. Wie ein etwas stärkerer Schnaufer die ganze Pracht auf den Fußboden und vor die wässrige Schnauze meines Katers geweht hat, davon kann ich mehrere Geschichten erzählen. Ich atme erst aus, wenn die feinen, getrockneten Griffel des Safran-Krokusses sicher in der Keramik liegen und vorsichtig mit heißem Wasser benetzt sind. In Sekunden färbt sich die Flüssigkeit orangerot und ein Duft steigt mir in die Nase, blumig-sinnlich, orientalisch-süß – ein Wohlgeruch, der bis zum Essen nicht vergehen soll.

Safran macht den Kuchen gehl, heißt es in „Backe, backe Kuchen“. Wegen der Zeile aus dem alten Kinderlied haben wir gelernt, welche Farbkraft der Blütenextrakt hat. Aber sie verbirgt, welch starkes Aroma Safran eigentlich liefert. Ich füge nur ein hundertstel Gramm zu einer Soße aus einer kleinen Dose Tomaten hinzu und der Effekt ist gewaltig. Die starke salzige Fruchtigkeit ist von Eleganz durchwebt. Und wenn Safran das bei geschmacksintensiven, konzentrierten Tomaten schafft, dann hat er sonst noch leichteres Spiel.

Es ist ein harmonisierendes Gewürz, ganz ähnlich wie Vanille. Nicht nur bei mediterranen oder orientalischen Gerichten kommt Safran deswegen bei mir zum Einsatz, obwohl er hier natürlich seinen Stammsitz hat – als edle Zutat im Risotto oder in der Paella. Aber genauso können die getrockneten Blütenfäden eine Aprikosen-Marmelade verfeinern. Sogar in einer Marinade für ein Hühnchen hat das Gewürz Wirkung. Bei einem Fischfilet, das auf der Hautseite kurz in Safranmehl gewälzt wurde, will man sich nach dem Braten jeden Tropfen Zitrone sparen, um das Aroma zu bewahren.

Zur Zeit ist es so: Sogar wenn ich eine Schweinshaxe zubereite und Safran nicht als Zutat verwende, will ich diese anfängliche olfaktorische und feinmotorische Mediation machen, um in die richtige Stimmung zu kommen. Aber dafür sind meine Safranbestände leider zu begrenzt.

Foto: hepp | CC

Warum ausgerechnet Makrele?

Es ist vermaledeit. Die Wochenendkäufe sind getan, die Belastungsgrenzen des Kühlschranks, der zu EM-Zeiten noch ein paar Bierflaschen extra aufnehmen muss, sind absolut überreizt. Will sagen: Es stapelt sich schon gefährlich. Und dann blicke ich an der Fischtheke wieder in die verschwommenen Augen einer Makrele und werfe alle Pläne um.
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