Ein Bayer für Südafrika

Nichts auf dem Etikett weist darauf hin, dass in diese Flasche etwas ganz Bayerisches abgefüllt wurde. Das hat mich neugierig gemacht. Denn zur bayerischen Weltläufigkeit gehört ja sonst, dass sie sich vor allem nach außen hin so krachledern wie möglich zeigt.

Beast of the deepDoch hinter dem Beast Of The Deep stehen keine Bayern, sondern steht ein Mann aus Kapstadt. Rui Esteves sattelte von Kaffee auf Bier um, als die Craft-Beer-Welle vor acht Jahren sein Land erfasste. Er wurde einer ihrer Köpfe mit einer seltsamen Idee. Er ließ nicht in Südafrika oder in den Ursprungsländern des neuen Biertrends brauen, in den USA oder Großbritannien, sondern orientierte sich ausgerechnet ins hypertraditionalistische Bayern. Esteves muss schon damals verstanden haben, dass „Craft“ nicht nur für neuen Geschmack steht, sondern dass es auch radikal handwerklich gebrautes Bier meint. Und an Handwerk ist in Bayern kein Mangel.

Kennt man die Vorgeschichte, kann man erklären, warum aus einer Flasche, die ziemlich hip aussieht, ein uriger Maibock fließt, also ein Starkbier, das alkoholischer schmeckt als das typische bayerische Helle und auch süßer, das sich aber mit spritzigen Noten verabschiedet. Das Beast of The Deep besticht mit Honignuancen, Biskuit, Karamell. Die Süße wird von einer dezenten Hopfennote abgefangen, die an Pfirsich erinnert. Der cremig-schwere Schluck verabschiedet sich leicht vom Gaumen, es bleibt Zitrus in der Nase. Ein süffiges Biest. Bockbier-Trinkern mit Erfahrung mag es fast zu typisch und langweilig vorkommen. Für Neulinge ist es eine Einsteigerdroge.

Beast Of The Deep, Ungefilterter heller Bock, Brewers & Union, Alkohol 6.5 % vol.

 

Von Apfelkraut und Lakritz

Dortmund gehörte neben Berlin und München einst zu den Bierhauptstädten Deutschlands. Das dort gebraute Export war nicht nur beliebtes Arbeiterbier, es fand weit über die Grenzen des Ruhrgebiets Freunde. So viele, dass die Stadt einmal Europas größter Bierproduzent war. Daran erinnert heute nur noch das Dortmunder „U“, der Buchstabe, der das einstige Gärhochhaus der Union-Brauerei krönt. Von 35 Brauereien, die noch in den siebziger Jahren süßlichen Malzdunst durch die Straßen schickten, ist keine mehr übrig. Dortmund wurde ein Opfer des Pils, das bald mit Macht in Mode kam. Die Ruhrstadt trocknete aus, und damit wurde nicht nur Export-Biere selten, sondern auch andere Dortmunder Bierstile.

methusalemEs hat daher auch mit Archäologie zu tun, wenn eine Brauerei sich wieder an einem typischen Dortmunder Bier versucht. Bei der Vormann-Brauerei in Hagen wird nun ein Adambier hergestellt, ein Bräu, das die Dortmunder schon im Mittelalter kannten: Es ist ein dunkles, obergäriges Starkbier, in etwa vergleichbar mit dem Altbier am Niederrhein. Der Unterschied ist nur: Es ist leicht sauer. Ein Jahr mindestens wurde es gelagert, um die richtige Säure zu entwickeln.

Das Methusalem, wie die Neuschöpfung heißt, ist ein süffiges Starkbier, das seinen Alkoholgehalt von 10 Prozent gekonnt verbirgt. Es ist von dunklem Rotbraun, der eierschalengelbe Schaum vergeht schnell, schickt aber noch Karamelltöne in die Nase, die an getrocknete Früchte erinnern. Das Methusalem schmeckt aber nicht sauer, sondern fruchtig-vollmundig. Man denkt an Apfelkraut. Der Abgang ist dann wiederum von würzigem Lakritzaroma, das aber schnell verfliegt. Was gut ist. Echter Süßholzgeschmack ist im Mund einer der langlebigsten.

The Monarchy Methusalem, Vormann-Brauerei Hagen, 10 % Vol. Alkohol

Ein Bier mit Bugwelle

Alkoholarme Biere sind keine moderne Erfindung. Es gab immer wieder Zeiten, in denen Menschen auf Alkohol gern verzichteten, aber trotzdem nach Eingebrautem griffen, zum Beispiel als Hygienemaßnahme. Eingekocht und vergoren war der Gerstensaft oft gesünder und keimfreier als normales Trinkwasser. Das erklärt auch, warum Biersuppe zu Beginn des 19. Jahrhunderts vielerorts ein Grundnahrungsmittel war, das sogar Kindern bekamen.

tankerSolches Bier wurde das ganze Jahr über gebraut und frisch verkauft. Daher hat sich die Bezeichnung als Schankbier eingebürgert, im Gegensatz zum Lagerbier. Sie ist heute gesetzlich geregelt: Der Stammwürzegehalt muss bei 7 bis 10 Prozent liegen, da kommen selten mehr als 4 Prozent Alkohol raus.

Schankbier war bis vor einigen Jahren nahezu ausgestorben. Normalen Biertrinkern galt es als zu lasch. Einer zeitgleich wachsenden kalorienbewussten Kundschaft boten Brauereien gleich Alkoholfreies an und machten dafür mit modernen Verfahren wie Umkehrosmose oder Vakuum-Verdampfung normal eingebrautes Bier wieder spritfrei. Erst ganz allmählich findet der Bierstil wieder Freunde.

Zum Beispiel in der Männerwirtschaft Große Freiheit 114 in Berlin-Friedrichshain, die sich von der Flessa-Brauerei ein Schankbier herstellen lässt. Das Tanker straft einige gängige Vorurteile Lügen. Es ist ein Bier mit Brandung. Es ergießt sich in einer gewaltigen Schaumwelle ins Glas, die leicht nach Hopfen, Apfel und Heu recht. Die Kohlensäure ist im Mund aggressiv, ähnlich wie bei manchen Weizen, und macht das Bier nicht nur spritzig, sondern auch vollmundig. Die kräftige Portion Hopfen überdeckt auch die feine Malznote nicht und verhilft dem Bier zu einem feinen Abgang. Lasch ist was anderes.

Tanker, Flessa-Bräu, Alkohol 3,7 % Vol.

Pfeffrig und knisternd

Es ist eigentlich nur eine Zapfstelle. Eine Theke, an die kaum ein Dutzend Menschen passen und drei Bierhähne. Im Ausschank von Johannes Heidenpeter in der Kreuzberger Markthalle neun stecken Fülle, Farbe und Kreativität alleine in dem, was im Keller darunter gebraut wird und was dann oben ins Glas fließt.

thirstyladyRegelmäßig sind das Novitäten, denn Heidenpeter, der sein Dasein als freier Künstler an den Nagel gehängt hat, experimentiert nicht nur mit vielen Bierstilen, er wirft dann und wann auch Orangenschalen, Koriandersamen oder Sternanis mit in den Sud. Als ob er täglich beweisen wollte, zu welcher tristen Eintönigkeit das Reinheitsgebot führt. Es gilt nur ein Gesetz: Hier wird obergärig gebraut – also wie beim Kölsch, bei Zimmertemperatur.

Von Bier ist daher auch auf dem Etikett keine Rede. „Alkoholischer Malztrunk“, heißt es dort. Die „Thirsty Lady“ ist bereits ein Klassiker im sonst fast unübersichtlichen Sortiment und seit wenigen Monaten nicht nur am Hahn, sondern auch in der Halbliterflasche erhältlich. Es aber wegen seines Namens für ein Damenbier zu halten, wäre falsch.

Man könnte es als helles Pale Ale beschreiben oder als dunkles Kölsch; es ist naturtrüb und bernsteinfarben. Im Geruch taucht ein Hauch von Grapefruit auf, es dominieren aber Noten von Lorbeer, Rosmarin und Zeder. Beim ersten Schluck knistert das Bier auf der Zunge, es wirkt noch würziger, die Kohlensäure ist angenehm temperamentvoll, zurück bleibt ein aromatischer, pfeffriger Nachklang. Das hat Klasse, bei aller Schlankheit, mit der das Bier daherkommt. Tatsächlich: eine Lady.

Thirsty Lady, Heidenpeters, Stammwürze 11,8 Prozent, Alkohol 4,9 % Vol.

Da ist alles mächtig

Grapefruit, Erdbeere und ein leichter Hauch Nelke: der reif-fruchtige Geruch steigt einem schon in die Nase, wenn man die Flasche öffnet. Vielversprechend. Dieses Bier ist eine Geschmacksbombe.

holyshitEs stammt von Thorsten Schoppe, der seit 2001 in Kreuzberg braut und nie um ein Experiment verlegen ist, Reinheitsgebot hin oder her. Sei es, Roggenbier zu brauen oder Gewürze oder Früchte dem Sud zusetzen: Schoppe gehört zu den festen Säulen der Berliner Craftbeer-Szene, die sich in der jüngsten Zeit zu einer der größten und lebendigsten in Deutschland entwickelt hat.

Holy Shit heißt das Double IPA. Und die Wahrscheinlichkeit, dass man „heilige Scheiße“ ausruft, wenn man diese Bier das erste Mal probiert, ist gar nicht so gering. Bei einer Expertenverkostung auf dem Berliner Braufest im September war sich eine Experten-Jura einig: das beste Bier der Konkurrenz.

Nicht nur Geruch, alles ist mächtig an diesem Bier. Etwa die Schaumentwicklung: Vorsichtiges Einschenken empfiehlt sich. Das ist völlig ausreichend, um eine daumenbreite, weiße Krone zu erreichen, die fest wie geschlagenes Eiweiß auf dem dunkel bernsteinfarbenen Bier sitzt.

Die süß-fruchtigen Aromen setzen sich auf der Zunge fort, die Kohlensäure schmilzt auf der Zunge und macht das Holy Shit cremig. Ein echter Hammer ist aber der Abgang: Kratzig und leicht rauchig, mit einer Spur Rizinus verabschieden sich die zehn Prozent Alkohol am Gaumen. Das wirkt fast wie ein guter Schluck Whiskey.

Das Holy Shit ist daher nichts für Jedermann. Wer Zigarren oder einem schweren Rotwein viel abgewinnen kann, wird auch dieses Bier mögen. Zum rheinischem Sauerbraten oder einem scharfen Chili con Carne aber ist es auch ein perfekter Begleiter.

Holy Shit Ale, Schoppe Bräu, Alkohol 10 % Vol.

Mutter aller Festbiere

Von der Farbe her wie ein vollreifes Weizenfeld, so soll dieses Bier aussehen, sind sich viele Kenner einig. Die Rede ist vom Märzen, das nun im September Saison hat. Es ist die Mutter aller Festbiere, wie sie bei Dult, Wies’n oder Wasen aus dem Hahn fließen. Große Volksveranstaltungen, die ihre Herkunft nicht etwa der Erfindung der Achterbahn verdanken, sondern sich aus Erntedankfesten entwickelt haben.

KlosterstoffAm meisten ist diese Historie noch im Bier zu erkennen. Es verdankt seinen Namen dem Monat März, weil zu Beginn des Sommers die Brauer auf Vorrat brauten. Ein halbes Jahr lagerte das Bier dann in kalten Felsenkellern, bei idealer Temperatur für die untergärige Hefe, und war voll ausgereift, wenn das Publikum in den Bierzelten und bei den ersten herbstlichen Temperaturen wieder nach Stärkerem im Krug verlangte. Etwas mehr Alkohol, das ist heute noch das hervorstechende Charakteristikum vieler Festbiere. Noch besser aber, wenn sich so ein Bier auch noch geschmacklich am Spätsommer orientiert.

Schon farblich entspricht der Klosterstoff das aus dem Schwarzwald dem Wunschbild eines Märzen: Es ist ein Ticken dunkler als ein goldgelbes Lager. Der Geruch ist leicht würzig und erinnert an Brotkruste. Ganz klar wurde hier mit einem größeren Anteil dunkel gerösteter Gerste gearbeitet, doch im Mund ist nicht nur mehr Malz zu schmecken, das Bier fühlt sich nachgerade buttrig an. Mehr Alkohol und, dass ein Teil der Kohlensäure kaum als Bitzel wahrzunehmen ist, sind vielleicht der Grund für den Effekt.

Der spürbare Teil der Kohlensäure ist dagegen sehr flüchtig. Und das führt einen in Versuchung, das Märzen schneller zu trinken als es schal wird. Gefährlich schnell. Was es auf seine Art auch festzelttauglich macht.

Klosterstoff Märzen, Alpirsbacher Klosterbrauerei, Stammwürze 13,3 % Alkohol 5,9 % Vol.

Ein süßes Füchslein

Was ist wohl ein Frauenauer Pale Ale? Ja richtig, eine Phantasiebezeichnung, so wie auch der Name dieses Biers: Rachel Rotfux. Ein alkoholisches Getränk so zu nennen, als ob es auch eine Rolle in einem Märchen spielen könnte, etwa als Gespielin des gestiefelten Katers, von Reineke Fuchs oder dem Schlaukopf in Janáčeks Oper „Das schlaue Füchslein“ – geschenkt. Es haben schon fabelhaftere Titel Käufer gelockt. Aber möchte man nicht dazu einen konkreteren Hinweis finden, was den Trinker erwartet, wenn er ein Rachel öffnet? Frauenauer Pale Ale, abgekürzt FPA, ist genau das Gegenteil.

rachelrotfuxDie Bezeichnung ist ein Beispiel für das Tohuwabohu, in der sich die Kategorisierung des Biers derzeit befindet. Exakte Abgrenzungen zwischen den Stilen gab es zwar nie. Die Bezeichnungen hatten immer regionale Wurzeln, weshalb beispielsweise selten ein Brauer südlich der Donau darauf gekommen wäre, sein Helles als bayerisches Pils zu vermarkten. Da der gute Geschmack inzwischen aber keine Ländergrenzen mehr kennt, wird die Sache unübersichtlicher. Es kommen vermehrt englische und amerikanische Gattungsbezeichnungen ins Spiel.

Bei der Bezeichnung Pale Ale darf man höchstens Verdacht schöpfen: Hier stand ein English oder American Pale Ale Pate, zwei in den USA noch sehr junge Bierstile. Und da liegt man richtig. Das Rachel Rotfux ist ein rechter Exot. Ganz genau nämlich ein obergäriges starkes Bier, bräunlich-orange, das fulminant gehopft ist, aber auch der in Bayern sehr beheimateten Vorliebe für das Süß-süffige entspricht. Es begrüßt einen mit Fruchtnoten, die leicht mit Kräutern durchmischt sind, verabschiedet sich aber sehr gleitend und ganz ohne nachbitternden Abgang.

Aus Bayern stammen inzwischen einige solcher Biere, die sich alle gerne Bavarian Pale Ale nennen, wie etwa das „Bavarias Best“ aus Schönram. Sicher ist: Als Frauenauer Pale Ale wird das Rachel Rotfux konkurrenzlos bleiben. Es kommt aus einer Gemeinde im bayerischen Wald mit rund 2.700 Einwohnern.

Rachel Rotfux, Frauenauer Turbinenbräu, Alkohol 5,7 % Vol.

Knisternd trocken

Man muss manchmal weit in die Welt hinaus, um zu entdecken, was einem vor der Nase liegt: Das Bier aus der Privatbrauerei Zehendner ist eine lokale Berühmtheit in Oberfranken, hat aber inzwischen auch unter Kennern viele Freunde in Schweden, Dänemark, Italien und den USA. Nicht wenige halten das, was in dem kleinen Ort Mönchsambach südwestlich von Bamberg abgefüllt wird, für mit das beste Bier aus Deutschland.

moenchsambacherDabei hat die Brauerei nur einen Ausstoß von 6.000 Hektolitern im Jahr, verschwindend wenig. Und die Nachfrage ist so groß, dass sich Inhaber Stefan Zehendner den Vertrieb spart. Wer seine Biere kaufen will, muss nach Mönchsambach fahren und Kästen oder Fässer selbst abholen. Selbst die Wirtshäuser in der Umgebung, die sein Bier ausschenken wollen, schaut sich der Braumeister genau an. Er setzt auf Tradition. Das sieht man auch in der Braugaststätte nebenan, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und nicht selten noch Karten geklopft werden.

Das Lagerbier, ein ungespundetes, leicht trübes Bier, ist ein für den Alkoholgehalt von 5,5 % außergewöhnliches Geschmackserlebnis. Knisternd trocken, wie man es auch von den fränkischen Weißweinen kennt, und sogar mit einem leicht mineralischen Akzent. Der Schaum zerfällt langsam und leicht wolkig, dabei entwickelt das Bier einen Duft nach frischem Brot. Der Antrunk ist recht frisch, weil grobperlig.

Die süßen Malznoten und Bitteraromen sind sehr ausbalanciert, was zu einem ausgesprochen vollmundigen Eindruck führt, ohne dass einzelne Nuancen von Zitrus, Gras oder Honig besonders hervorstechen. Man kann dieses Bier einfach nur als eine runde Sache bezeichnen, kaum vergleichbar mit anderen Vertretern der Kategorie Pils oder Bayrisch Hell: Mönchsambacher schmeckt einfach unverwechselbar nach Mönchsambacher.

Mönchsambacher, ungespundetes Lagerbier, Privatbrauerei Zehendner, Alkohol 5,5 % Vol.

Der leichte Huf der sauren Hefe

Schon der Schaum ist faszinierend. Man versteht, wie der Begriff „Brause“ entstand. Gießt man dieses Bier ein, entsteht eine Gischt wie auf dem Scheitel einer ans Land rollenden Welle, die sich sogleich in nichts auflöst: Die Krone sinkt wieder so schnell in sich zusammen, als ob die feinen Luftblasen vom Abfluss abgesaugt würden. Ebenso schnell ist man versucht, dieses Bier zu trinken.

bogkbierUnd das kann man auch bei dem geringen Alkoholgehalt. Ein ausgeprägtes Molkenaroma legt sich um die Zunge, sauer, leicht zitronig mit einer herben Note. Schuld ist die Milchsäurefermentation. Das trübe Bier moussiert angenehm kräftig und bleibt am Ende ehrlich: Die Brettanomyces-Hefe hinterlässt einen feinen Hufabdruck. Hat ein Bier zu viel davon, kann es allerdings ausgesprochen unappetitlich nach Pferdeschweiß schmecken.

Die „Berliner Weiße“ aus der Privatbrauerei Bogk ist das Produkt eines Bierarchäologen. Es war einst das berühmteste deutsche Sauerbier, Napoleon lobte die Weiße noch als „Champagner des Nordens“. Davon übrig geblieben ist ein industriell hergestelltes Substitut. Die traditionelle Herstellung, die zu DDR-Zeiten in Ostberlin noch gang und gäbe war, wurde bald nach der Wende eingestellt. Die Weiße wurde zu einem Opfer des Bier-Mix-Trends, wo auf den sauren Grundstoff weniger Wert gelegt wird als auf die Zusätze, von Maracuja bis Waldmeister.

Um das Berliner Original wiederzubeleben, hat Andreas Bogk deshalb Hefestämme, die er in Sammlerflaschen fand, rekultiviert. Und füllt das junge Bier mit den Mikroorganismen ab, worauf eine echte Flaschengärung einsetzt. Ganz so schnell zischen muss man die Weiße übrigens nicht. Wegen der Vergärung ist sie jahrelang haltbar.

Berliner Weiße, Privatbrauerei Bogk, Alkohol 2 % Vol.

Das Federweiße

Der Trend geht zum Naturtrüben. Das macht einen unverfälschten Eindruck, wirkt bio. Es ist noch nicht lange her, da war das für viele Biermacher tabu. Trübes Bier galt als unreif, die Hefe hatte sich noch nicht abgesetzt. Damit es klar wurde, musste man das Bier lange in den Keller legen. Einfacher wurde das erst mit dem Aufkommen des Bierfilters nach 1878. Die Kunden waren nach Jahrhunderten, die sie mit undurchsichtigen Brühen verbracht hatten, empfänglich für das reine und saubere Bier.

hirschzwicklNun geht die Entwicklung wieder in die andere Richtung, eine Pionierrolle hat dabei das Hefeweizen. Wegen des höheren Anteils an Resthefe ist das Unfiltrierte reicher an Vitaminen und Eiweiß, und natürlich machen sich die Trübstoffe auch geschmacklich bemerkbar: Die sauren Hefepartikel sorgen in der Kombination mit der Malzsüße für größere Vollmundigkeit.

Das Zwickl aus der Hirschbrauerei im schwäbischen Wurmlingen ist ein typisches dieser neuen trüben Biere. Man findet sie oft unter der Bezeichnung Zwickl. Bevor sie zur Reifung in den Keller kamen, „zwickten“ die Brauer früher die Holzfässer und bohrten ein kleines Loch, aus dem das Jungbier hervorsprudelte. Daher der Name. Es war die erste Geschmacksprobe. Man könnte Zwickl deshalb mit Federweißem vergleichen. Das Hirschzwickl duftet malzig und honigsüß. Die trübe Gelbfärbung und der üppige Schaum zeigen sofort: ein junges Wildes. Dennoch fehlen im Geschmack Sturm und Drang. Der Antrunk wirkt mild, fruchtige Hopfennoten sind nur zu ahnen, lassen das Bier aber sehr frisch wirken. Im Abgang setzt sich die Restsüße des Malzes durch. Das macht es vollmundig und süffig, doch der Verdacht bleibt, Lagerung könnte dem Bier noch Charakter verpassen. Aber man sollte bescheiden bleiben. Von einem Jungbier lässt sich nicht viel mehr verlangen.

Hirschzwickl naturtrüb, Hirschbrauerei Honer, Wurmlingen, Alkohol 5,2 % Vol.