Brot und Sahnekaramell

Braukunst gibt sich gern mittelalterlich. Findet sich ein Datum, das in die Nähe der Verkündung des bayerischen Reinheitsgebots von 1516 fällt, am besten noch vorher, kann kein Unternehmen widerstehen. 1447 ist so eine Jahreszahl, geschichtlich völlig bedeutungslos: In Straßburg war Johannes Gutenberg noch mit den Kinderkrankheiten seiner Druckerpresse beschäftigt, die Renaissance ließ noch ein paar Jahre auf sich warten.

zoetler1447Doch in einem Ort im Oberallgäu gibt die Kirchenchronik von 1447 Auskunft über die Gründung einer Brauerei. Und weil die Pfarrer das Geschehen vor Ort bis heute so sorgfältig dokumentiert haben, nennt sich die Privatbrauerei Zötler in Rettenberg am Fuße des Grünten heute mit einigem Recht das „älteste Familienunternehmen Deutschlands“. Schon in der 20. Generation wird hier Bier gebraut.

Die Flasche, die die Allgäuer mit der Jahreszahl verziert haben, möchte dennoch den sich ändernden Trinkgewohnheiten entsprechen und maximalen Geschmack bei minimalem Alkoholgehalt bieten. Das unfiltrierte Bier ist deshalb, auch wenn es mit der für diesen Bierstil typisch zurückhaltenden Kohlensäure daherkommt, kein übliches Zwicklbier: Die feine Trübung entsteht durch den Einsatz einer obergärigen Ale-Hefe, gemeinsam mit den zwei verwendeten Hopfensorten sorgt sie „für das frische, fruchtige Aroma“, wie es auf der Website von Zötler heißt.

Tatsächlich riecht das 1447 recht malzig und nach Sahnekaramell. Der Körper ist, auch wegen des fehlenden Bitzelns, cremig und läuft gut in die Kehle. Das Karamell wird von leichten Getreidenoten ergänzt, was an Brot erinnert. Im leicht bitteren Abgang verabschiedet sich das Bier mit einer Spur grasigen Hopfens. Ganz so zukunftsgewandt ist das 1447 also doch nicht.

1447 naturtrüb, Privatbrauerei Zötler, Stammwürze 12,5 %, Alkohol 4,9 % Vol.

Das Federweiße

Der Trend geht zum Naturtrüben. Das macht einen unverfälschten Eindruck, wirkt bio. Es ist noch nicht lange her, da war das für viele Biermacher tabu. Trübes Bier galt als unreif, die Hefe hatte sich noch nicht abgesetzt. Damit es klar wurde, musste man das Bier lange in den Keller legen. Einfacher wurde das erst mit dem Aufkommen des Bierfilters nach 1878. Die Kunden waren nach Jahrhunderten, die sie mit undurchsichtigen Brühen verbracht hatten, empfänglich für das reine und saubere Bier.

hirschzwicklNun geht die Entwicklung wieder in die andere Richtung, eine Pionierrolle hat dabei das Hefeweizen. Wegen des höheren Anteils an Resthefe ist das Unfiltrierte reicher an Vitaminen und Eiweiß, und natürlich machen sich die Trübstoffe auch geschmacklich bemerkbar: Die sauren Hefepartikel sorgen in der Kombination mit der Malzsüße für größere Vollmundigkeit.

Das Zwickl aus der Hirschbrauerei im schwäbischen Wurmlingen ist ein typisches dieser neuen trüben Biere. Man findet sie oft unter der Bezeichnung Zwickl. Bevor sie zur Reifung in den Keller kamen, „zwickten“ die Brauer früher die Holzfässer und bohrten ein kleines Loch, aus dem das Jungbier hervorsprudelte. Daher der Name. Es war die erste Geschmacksprobe. Man könnte Zwickl deshalb mit Federweißem vergleichen. Das Hirschzwickl duftet malzig und honigsüß. Die trübe Gelbfärbung und der üppige Schaum zeigen sofort: ein junges Wildes. Dennoch fehlen im Geschmack Sturm und Drang. Der Antrunk wirkt mild, fruchtige Hopfennoten sind nur zu ahnen, lassen das Bier aber sehr frisch wirken. Im Abgang setzt sich die Restsüße des Malzes durch. Das macht es vollmundig und süffig, doch der Verdacht bleibt, Lagerung könnte dem Bier noch Charakter verpassen. Aber man sollte bescheiden bleiben. Von einem Jungbier lässt sich nicht viel mehr verlangen.

Hirschzwickl naturtrüb, Hirschbrauerei Honer, Wurmlingen, Alkohol 5,2 % Vol.