Liebeslied an einen Herd

Ich melde mich aus den Flitterwochen. Entschuldigen Sie also meinen Überschwang. Aber es kam alles ganz unverhofft. War sozusagen Liebe auf die erste Flamme. Und meine Lieblingsesserin war einverstanden, dass ich die folgende kleine Serenade aufsetze. „Vielleicht“, sagte sie, „lässt Du mich dann in Ruhe.“

Sie hat Recht. Ständig rufe ich sie an den Herd, auch nur, um in den Topf zu schauen, in dem ich Zwiebelwürfel anschwitze. „Da braten Zwiebeln“, sagt sie verständnislos. Und ich – noch verständnisloser: „Aber guck mal, wie das Fett spritzt, wie die Würfel tanzen, schon seit fünf Minuten. Und da wird nichts schwarz. Irre, oder?“ Während ich den Risotto zur Vollendung bringe, telefoniert sie mit einer Freundin. Sie sagt: „Er wird wahnsinnig: Er lässt gerade Zwiebeln tanzen.“

Es war nur eine Laune, warum ich mich von meinem alten Herd verabschiedet habe. Fast zwanzig Jahre war er alt, und wir beide sind noch gut miteinander ausgekommen. Ich stehe ohnehin auf dem Standpunkt, dass in der Küche technische Geräte nur so gut sind, wie die, die sie bedienen. Früher oder später entwickeln alle ihre Eigenheiten. Für jedes neue Instrument muss man abwägen: Lieber die vertrauten Macken oder eventuell neue Spleens.

Mein Ofen war schon ein alter Herr namens Bauknecht, nicht mehr der schnellste und jede Anstrengung war ihm anzumerken. Nach einer halben Stunde Vorheizzeit auf höchster Stufe inklusive Grill hatte sich die Nadel auf dem Ofenthermometer langsam zum 200-Grad-Strich vorgezittert. Pfannen setzte ich besser vor dem Gemüseschneiden aufs Kochfeld. Und bei Schmorgerichten hatten wir immer Streit. Herr Bauknecht verstand einfach nicht, dass die Rinderbrust bei genau 120 Grad für acht Stunden im Ofen zu sein hatte. Er gab ständig mehr Stoff.

„Early induction hob cooker (Rankin Kennedy, Electrical Installations, Vol II, 1909)“ von Andy Dingley (scanner) - Scan from Kennedy, Rankin (1909 edition) Electrical Installations, vol. II, London: Caxton. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia CommonsDu hast dich sicher für Gas entschieden, sagen nun viele Leute. Und schütteln die Köpfe, weil nun ein Induktionsherd in der Küche steht. Neumodisches Zeugs? Keineswegs. Die frühesten Patente für diese Technologie wurden bereits um 1900 angemeldet. Die ersten Haushaltsgeräte dann in den 70ern produziert. Vorher wurde Induktion in der Industrie eingesetzt, etwa um Metalle zu schmelzen.

Die Funktionsweise klingt ein bisschen wie Voodoo: In einer großen Kupferspule unter der Herdplatte wird ein elektromagnetisches Wechselfeld aufgebaut. Steht darüber ein Topf, der magnetisch ist, wird Hitze direkt in den Topfboden induziert. Man kann sogar Papier dazwischenlegen. Und ein Aluminiumtopf bleibt kalt. Das Schöne daran: Wie beim Gasherd  wird Energie sofort in Hitze umgesetzt. Wie, das lässt sich aber noch genauer und feiner regulieren. Das sollte mein Zwiebelversuch eigentlich zeigen.

Induktionsherde haben nur zwei Nachteile. Meist muss man auch neue Töpfe mit magnetischem Stahlboden zulegen. Und die Herde kommen neuerdings oft mit Touchpad-Funktion. Wie beim Smartphone soll man für die Bedienung über das Ceranfeld wischen und irgendwelche virtuellen Knöpfe drücken. Das funktioniert vielleicht noch im Geschäft, in der Küche, wenn wie bei mir die Finger sofort nass und fettig sind, selten. Ich habe schon erlebt, wie die besonnensten Köche unter hektischem Tippen auf solche Herdplatten einbrüllten, und daher lange nach einer Alternative gesucht. Die Ausstattung mit guten alten Knöpfen hat einen stolzen Preis.

Gerade bekommt mich kaum was vom Herd weg. Beispielsweise Rosenkohl kurz zu blanchieren, bevor er im Ofen, der übrigens ganz konventionell funktioniert, zu Ende backt: Das ist kein Akt mehr. Das Wasser kocht in Sekunden. Und ich liebe es, vor sich hin schmurgelnde Zwiebeln zu beobachten und den süßen Duft in mich einzusaugen. Macken? Manchmal bekomme ich Angst, wie perfekt dieser Herd funktioniert.

Foto: Ben O’Bryan | CC

Ausgelaugt

So viel Poesie hätte man den Brüsseler Beamten gar nicht zugetraut: „In der Form ähnelt die Breze zum Beten verschränkten Armen.“ So steht das in der EU-Verordnung, die das bayrische Brotzeitgebäck künftig unter Herkunftsschutz stellt. Was sich bayerische Brezel, Breze, Brezn oder – mit sogenanntem Deppen-Apostroph – Brez’n nennt, muss auch aus dem Freistaat kommen.

Und? Können sich die Bayern nun was darauf einbilden? Man muss wissen, die Laugenschleife ist im süddeutschen Raum kulturell tief verankert. Es gibt die Brezn und die Brezel. Das ist zuallererst eine mundartliche Unterscheidung. In Bayern heißt es Breze oder Brezn, genauso wie es immer Semmel heißt, wenn man Brötchen meint. Brezel, das sagt man aus Sicht der Bayern nur da, wo die Semmel das Weggle ist und es auch Spätzle gibt.

Sonst aber ist das Laugengebäck mindestens so baden-württembergisch wie bayerisch. Der Legende nach soll sich damit im 15. Jahrhundert ein Bäckermeister aus Bad Urach bei Nürtingen vor dem Strang gerettet haben. Er schaffte es, was der Fürst nie für möglich gehalten hatte, nämlich ein Gebäck herzustellen, „durch das dreimal die Sonne schien“. Vor dem Backen fielen die Teiglinge in einen Eimer heißer Lauge. Er backte die Brezeln trotzdem – und wurde begnadigt. So wenigstens erzählt man es sich im Schwäbischen.

400 Jahre später, so will es der andere Mythos, passierte dem Münchner Bäcker Anton Nepomuk Pfannenbrenner ein Versehen. Er tauchte die Brezenteiglinge nicht in Zuckerwasser, sondern in die Putzlauge für die Backbleche. Weil Pfannenbrenner beim Hoflieferanten angestellt war, wurde der Königshof auf das neue Backwerk aufmerksam.

Natürlich kennen wir die Breze schon länger. Sie gehört zu den ältesten Zunftsymbolen des Bäckerhandwerks – und das über den süddeutschen Raum hinaus. Über Jahrhunderte war sie eine beliebte Fastenspeise und wurde meist nur in der Zeit von Aschermittwoch bis Karfreitag gebacken. Die Volkskundler gehen davon aus, dass sie eine Weiterentwicklung des Ringbrotes ist, mit dem die ersten Christen das Abendmahl begingen. Der Name geht auf den lateinischen Begriff brachium (arm) zurück und erinnert an eine alte Gebetshaltung, bei der die Arme über der Brust verkreuzt werden.

Liest man Bäckereihandbücher durch, dann findet sich heute ein eindeutiges Unterscheidungsmerkmal für die bayerische und die schwäbische Breze – ganz passend übrigens für die Klischees. Da soll der Bäcker auf der einen Seite einen Schnitt am Brezelbogen machen, damit der Teig sich beim Backen feinsäuberlich nach außen wölbt. Auf der anderen Seite ist er dagegen nur verlangt, wenn die Breze an ihrer dicksten Stelle in einer breiten Linie aufreißt. Sie vermuten richtig: Das letztere ist das bayerische Rezept.

Lassen wir es bei diesen brezologischen Ausführungen bewenden. Es finden sich keine Hinweise, dass die Bayern irgendein Vorrecht auf das Laugengebäck hätten. Nur, dass sie besonders stolz darauf sind. Ist die Bezeichnung „bayerische Breze“ deshalb aber ein Qualitätssiegel? Schwerlich.

Ob Breze oder Brezel, frisch schmeckt sie am besten. Ich finde sogar, dass für die Begleiterin der Weißwurst eigentlich auch die Regel gelten sollte, dass sie das Zwölf-Uhr-Läuten nicht mehr erleben sollte. Eine „bayerische Breze“ kann außerhalb von Bayern deshalb immer nur irgendein aufgebackener Tiefkühl-Teigling sein. Und in Bayern wird kein Geschäft mit dem Zusatz noch darauf hinweisen wollen, dass es auch unbayerische Brezen geben könnte. Ich kaufe weiter beim Bäcker meines Vertrauens, Brezen, wenn er hat, aber auch Brezeln, wenn er sie denn so nennen will.

Foto:  thiswonthurt | CC