Der furchtbare Paradiesapfel

Man meint, über viele Dinge sei alles erzählt. Zum Beispiel über die Tomate: ein Nachtschattengewächs, lateinisch Solanum lycopersicum, mit Kartoffel und Aubergine verwandt, ursprünglich in Südamerika beheimatet. Kennt man alles. Auch dass die Tomate einst Liebesapfel hieß oder Goldapfel, auf Italienisch bis heute pomodoro und in Österreich der Paradeiser.

Da ist im Namen die Verbindung zur verbotenen Frucht aus dem Garten Eden geschlagen. Man findet das öfter in der Kulturgeschichte von Obst und Gemüse. Auch Apfel, Birne, Quitte und Granatapfel, um nur einige Beispiele zu nennen, sollen Adam und Eva dem Volksglauben nach verführt haben. Ich habe das immer für einen frühzeitlichen Vermarktungstrick gehalten. Erzählt man vom Paradies, raunt man vielleicht noch von einer aphrodisischen Wirkung, ist der Absatz eines Gemüses garantiert.

Der Trick funktioniert noch immer – auf Fruchtgummiverpackungen. Mindestens bei der Tomate aber stimmt die Regel nicht. Die ursprüngliche Bezeichnung drückt keineswegs Liebe aus, so wie wir sie heute für das Gemüse haben. In Europa hatten viele Menschen über fast 200 Jahre Angst vor dem Gewächs. Die Tomate wurde aus ästhetischen Gründen angebaut, aber nicht zu kulinarischen Zwecken. Nur in Süditalien experimentierte man damit schon im 16. Jahrhundert in der Küche, hierzulande dauerte es bis zum späten 19. Jahrhundert, bis überhaupt die ersten Rezepte in Kochbüchern erschienen.

Kurioserweise stößt man auf dieses kleine Kapitel Geschichte, wenn man sich mit dem Tomatenanbau in Amerika befasst. Denn die nordeuropäischen Einwanderer nahmen die Vorbehalte nach Übersee mit und kultivierten sie dort sogar noch, wie der Kulturwissenschaftler Andrew F. Smith in The Tomato in America. Early History, Culture, and Cookery, der einzigen Monografie zum Thema, schreibt. Ursprung des Argwohns waren Geschichten von Adeligen, die an Tomaten gestorben waren. Der Grund: Der höhere Stand benutzte oft Zinnteller, und die Säure der Tomate löste das Blei darin, was zu Vergiftungen führte. Die Tomate galt ähnlich wie die Kartoffel fortan als Frucht einer giftigen Pflanze. Der eigentümliche, nicht unbedingt wohlriechende Geruch der Pflanze, der mir auch gerade in meinem Garten entgegenweht, unterstützte den Glauben noch. In den USA empfahlen Botaniker und Herbalisten deshalb, Tomaten nur anzupflanzen, um sich am Anblick der Früchte zu erfreuen und Ungeziefer fernzuhalten.

Aber es gab natürlich auch Insekten, die es auf die Pflanzen abgesehen hatten. In den USA übertrug sich die Furcht vor der Tomate auf die Raupe eines Nachtschwärmers, also eines Schmetterlings, der von Gärtnern bald Tomatenhornwurm genannt wurde. Über ihn wurden wahre Horrorgeschichten erzählt: Er sei giftig wie eine Klapperschlange und bewirke, dass die Pflanzen noch toxischer würden, schrieb etwa der berühmte US-amerikanische Naturphilosoph Ralph Waldo Emerson. Berichte von Exemplaren, lang wie eine Männerhand, die ihre Beute mit todbringendem Speichel bespritzten, nährten das Gärtnerlatein. Erst als Joseph Campbell die Tomatensuppe aus der Dose auf den Markt brachte, ließen sich die Amerikaner umstimmen. Doch glaubt man Smith, muss die Kostprobe für viele anfangs ein solches Abenteuer gewesen sein wie heute Sushi vom Kugelfisch.

Erst Ende des 19. Jahrhunderts begann sich die heutige Bezeichnung Tomate einzubürgern, abgeleitet von dem ursprünglichen aztekischen Wort xitomatl. Der exotische Begriff nahm den Menschen die Angst. Und der Siegeszug zum heute beliebtesten Gemüse der Menschheit begann.

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Ansicht eines Clowns

Der Dialog im Werbespot klingt wie aus einem Kinderbuch, das böse ausgehen wird. Ein kleiner Junge beginnt: „Meine Mutter sagt, ich soll niemals mit Fremden sprechen.“ Der Mann neben ihm antwortet: „Deine Mama hat wie immer recht. Aber ich bin Ronald McDonald. Und jetzt gib mir was von deinem Shake.“ Es sind die ersten Worte, die der berühmteste Clown der Welt sprach.

Warum musste es gerade so ein August sein, fragt man sich heute: eine Gestalt, die nicht immer ein Sympathieträger ist, die vielen Menschen Angst einflößt, über die wir lachen, selten mit ihr. Wie kam eine kleine Fastfood-Kette dazu, ihre Hamburger ausgerechnet von so einem Hanswurst verkaufen zu lassen? Und das seit fünfzig Jahren.

2554630372_b4271374e8_mDer Geburtstag des Clowns ist ein recht wenig beachtetes Jubiläum. Zu Unrecht – bei einer solchen Biografie: Die allseits bekannte Pappnase ist in den vergangenen fünf Jahrzehnten zur Hassfigur eines aggressiven, weltumspannenden Konzerns geworden. Doch das liegt nicht nur an McDonald’s. Ronalds Geschichte ist auch die des Clowns in heutigen Zeiten.

Als Ronald im Herbst 1963 das erste Mal auf einigen TV-Kanälen im Raum Washington zu sehen war, auf vielen Geräten noch in Schwarz-Weiß, machte sich McDonald’s gerade daran, den amerikanischen Markt zu erobern. Ray Kroc, der erste Franchise-Nehmer, hatte den Brüdern McDonald das Unternehmen abgekauft und perfektionierte das System, Filialen nicht selbst aufzubauen, sondern Lizenzen an Restaurantgründer auszugeben.

Ein Jahr zuvor waren das erste Mal US-weit Anzeigen in überregionalen Magazinen geschaltet worden. Dass McDonald’s am Ende des Jahrzehnts ein börsennotiertes Unternehmen sein würde, mit den ersten Filialen in Europa, zeichnete sich noch lange nicht ab. Aber Ray Kroc hatte bereits eine neue Zielgruppe identifiziert, die ihm helfen sollte, sein Hamburger-Imperium aufzubauen: Kinder.

OriginalronaldmcdonaldDer Clown sollte sein engster Verbündeter werden. Selten wurde das so klar wie in dem ersten TV-Spot mit dem eingangs zitierten Dialog. Noch sah der Clown nicht so aus, wie wir ihn heute kennen. Es fehlten die übergroßen Schuhe und die rote Perücke. Der erste Ronald McDonald, übrigens gespielt von dem damals sehr bekannten TV-Meteorologen Scott Willard, ein US-Kachelmann der 60er Jahre, sah eher aus wie die Vogelscheuche aus dem „Zauberer von Oz“, mit einem Pappbecher auf der Nase und einem Tablett als Hut, darauf Hamburger und Pommes.

Clownerie betrieb er nie

Vier Jahre später wurde Ronald McDonald als Warenzeichen eingetragen. Geschützt waren fortan der rot-gelbe Overall, die rot gestreiften Strümpfe, die übergroßen roten Schuhe und ein weiß geschminktes Gesicht mit roter Perücke. Ein Lebensmittelkonzern reklamierte auf einmal das Recht auf eine Figur, die seit Jahrhunderten der Gesellschaft den Spiegel vorgehalten hatte, die tolpatschig durch Zirkusarenen lief, in Sketchen Neid, Liebe, Wut und Eifersucht freien Lauf gab. Und die einen zu einem Lachen brachte, das immer auch nah am Weinen war.

Der Clown ist keine so positive Gestalt, er war es nie. Ob Hanswurst, Kasper oder Pierrot, in sämtlichen Kulturen gibt es diese Figur, ob in der Antike, bei den alten Chinesen oder in nordamerikanischen Indianergesellschaften: karnevaleske Persönlichkeiten, eigentlich gesellschaftliche Outsider, mit unstillbarem Appetit auf all das, was die Gesellschaft tabuisierte. Ein Triebtäter, über den man lachte, solange er nur spielte.

Ronald McDonald übernahm von diesem Charakter zunächst nur das Kostüm. Clownerie betrieb er nie. „Chief Happiness Officer“ nannte ihn der Konzern. Sein Erfinder, Scott Willard, hatte sich das von Bozo abgeschaut, Moderator einer damals bei Kindern beliebten TV-Show. Bozo trat in blauem Kostüm, mit riesiger Halskrause, weißem Gesicht und einem überdimensionalen, feuerroten Haarkranz auf, war aber nicht mehr als ein gut meinender Sympathikus, der Kinder beschenkte, ihnen Geschichten vorlas und ziemlich vernünftig war. Eigentlich eine Figur wie der Weihnachtsmann. Ronald McDonald verkörperte noch eine kleine Spur mehr Anarchie.

Der bekannteste Kindergärtner der Welt

Mit ihm wurden die Kinder zu Botschaftern des Fastfood. Kleinkäsehoch wurde bei McDonald’s König. Die übergroße Plastikfigur am Eingang, bunt dekorierte Räume, in denen man Freunde zum Geburtstag einladen konnte und denen der Clown Tabletts mit Pommes und Hamburgern servierte. Noch bevor Kindergärten so lustig und bis zur Höhe der Pissoirs kindgerecht gestaltet waren, hatte McDonald’s das vorweggenommen. Und Ronald war zum nettesten und bekanntesten Kindergärtner der Welt geworden. Er hatte eine Autorität bekommen, die Eltern nur selten angreifen wollten. Schließlich handelte es sich um eine Witzfigur.

In den USA war der Clown in den 70er Jahren bei Kindern bekannter als Micky Maus. Vielleicht hätte es ewig so weitergehen können, wenn nicht zur selben Zeit das Böse am Clown wiederentdeckt worden wäre. 1980 war in den USA das Jahr einer aufsehenerregenden Mordserie. John Wayne Gacy, ein ehemaliger Koch in einem Restaurant von Kentucky Fried Chicken, hatte jahrelang Kinder als „Pogo der Clown“ auf Straßenparaden unterhalten. Immer wieder hatte er mithilfe des Kostüms bei Jungen Vertrauen erweckt, sie aber dann eingekerkert, vergewaltigt und anschließend umgebracht. Unter seinem Haus wurden 28 Leichen ausgegraben. Der Killer-Clown, wie ihn die Medien nannten, wurde zwölfmal zum Tode verurteilt und 1994 hingerichtet.

Von da an sollte der nette Perückenträger zu einer sinistren Persönlichkeit werden. Das färbte auch auf das Fastfood-Maskottchen ab. Die Düsseldorfer Punkband „Der Plan“ sang von „gefährlichen Clowns“, die als gelbrote Ronald McDonalds Deutschland in ein Junkland verwandeln wollten.

Das Böse im Clown

Und in der Popkultur wurde der Clown zu einer Horrorgestalt: In „Poltergeist“, 1982 produziert von Stephen Spielberg, erwacht eine Clownspuppe zum Leben und versucht den kleinen Jungen einer Vorstadtfamilie unters Bett zu ziehen. Vier Jahre später erschuf Stephen King die Figur des Pennywise für seinen Roman „Es“.

Stephen-Kings-EsDas Dunkle im Clown wandelte sich zur Chiffre für das Abgründige: In den grotesken Clownsbildern von Cindy Sherman, in unzähligen Filmszenen, in denen Bankräuber Clownsmasken tragen, als übellauniger, kraftmeiernder Krusty in der TV-Serie „Die Simpsons“. Mit weißem Gesicht und rot verschmiertem Mund mutierte der Joker, zuletzt 2008 verkörpert von Heath Ledger in der Batman-Verfilmung „The Dark Knight“, zum größten Kinoschurken aller Zeiten.

Rentner Ronald

Unterdessen ist aus Ronald McDonald der Hauptangeklagte für Übergewicht und Fehlernährung von Kindern weltweit geworden. Er wurde als Galionsfigur einer Globalisierung mit falschem Lächeln identifiziert. Immer öfter werden Ronald-Statuen vor Schnellrestaurants umgeworfen. 2004 entwarf der Street-Art-Künstler Banksy ein Graffito, auf dem Ronald McDonald und Micky Maus gemeinsam ein traumatisiertes, nacktes vietnamesisches Mädchen an den Händen halten.

Der Clown ist zu einem der beliebtesten Ziele der Adbusters-Bewegung geworden, der Kommunikationsguerilla, die Werbung verfremdet, einem Vorläufer von Occupy Wallstreet. Nach dem US-Einmarsch in den Irak kursierte eine Postkarte mit einem rotmundigen George W. Bush, darunter stand „Ronald McMurderer“.

Eigentlich ist das Maskottchen nun verbrannt. Um Kinder zu locken, hat McDonald’s mit dem „Happy Meal“ schon längst eine andere Strategie entwickelt. Obwohl US-Elterninitiativen schon seit Langem fordern, den Clown in Rente zu schicken, kann sich der Konzern nicht offiziell von ihm trennen. Faktisch aber ist der „Botschafter für einen aktiven, ausgeglichenen Lebensstil“, wie er inzwischen heißt, in Altersteilzeit. Zwar geistert er noch in Ronald-McDonald-Häusern und in Eltern-Kind-Einrichtungen herum, aus den Restaurants jedoch ist er weitgehend verschwunden.

Fotos: Rochelle Hartmann | CCjoiseyshowaa |CC, Wikipedia