Der grüne Kitt für all das harte Zeugs

Kennen Sie Grünkohl? Ich behaupte mal dreist: Nein.

Vor einiger Zeit lag ein grünes Blatt auf meinem Teller. Es krönte eine kleine Scheibe Pastete. Der Kellner hielt sich bedeckt, was das sei. „Da kommen Sie nie drauf“, sagte er, „ich verrate es erst hinterher.“ Er wusste, mit einem Gast wie mir kann man das machen. Ich biss hinein: ziemlich al dente und ein sehr grüner und gleichzeitig nussiger Geschmack. Ein Blatt, dass es in sich hatte. Der Kellner strahlte mich an: „Grünkohl, nur ein paar Minuten blanchiert.“ Da wusste ich, Sie und ich kennen dieses Gemüse nicht.

Grünkohl hat nun wieder Saison. Und kommt nicht einfach so auf den Tisch, Grünkohl wird zelebriert, vor allem in Norddeutschland. Dort treffen sich die Menschen zum Boßeln. Sie wandern mit Schnaps bewehrt an Deichen entlang und über Wald und Flur. Die Richtung zeigt eine Kugel, die abwechselnd nach vorne geschmissen wird und nach der dann alle suchen, je nachdem, wie leer die Schnapsflaschen bereits sind.

Historische Kohlfahrt
Historische Kohlfahrt 1934 in Jever

Der Höhepunkt ist das folgende Grünkohlessen. Nichts schmeckt besser, wenn man ausgekühlt und beschwipst – die Kugel führt naturgemäß nie den direkten Weg – aus der novemberlichen Nasskälte ins Haus kommt und das Gefühl hat, dass einem der Kümmel schon aus den Ohren dunstet. Diese Spirituose gehört zum Grünkohl-Ritual nämlich so wie Pinkel und Bregenwurst. Das wiederum sind Fleischerzeugnisse, die traditionell mit Hafergrütze und Hirn bezutatet sind. Zum Leidwesen vieler Norddeutscher ist Hirn allerdings heute verboten.

Doch, es spricht einiges dafür, Boßeln endlich als Weltkulturerbe anzumelden. Wenn nur dem Grünkohl dabei etwas Würde gelassen würde.

Auf den ersten Blick gehört er gemeinsam mit Spargel und Kartoffel zur Chef-Troika des deutschen Gemüses. Über wenig anderes können wir so lange philosophieren wie Italiener über Pasta oder Franzosen über eine Pastete. Beim Grünkohl allerdings geht es nie um das Gemüse selbst, sondern um all das, was dazugehört an: die Wurst, das Fleisch, der Schnaps. Der Kohl ist nur der grüne Kitt für all die harten Sachen.

Was mit ihm passiert, als Rezept zu bezeichnen, schaffe ich nicht. Grünkohl wird mit Bauchspeck oder anderen Fettlieferanten stundenlang geschmort, bis eine grau-grüne Masse entstanden. Ein Martyrium. Dass dann noch Vitamin C vorhanden sein könnte, für das der Grünkohl so gefeiert wird: schwer vorstellbar. In Süddeutschland, wo ich Menschen die Delikatesse vorführen wollte, wurde ich sogar einmal gebeten, den Kohl vorsichtshalber noch länger auf dem Herd zu lassen. Andere schwören, noch ein zweites Mal totgekocht, entschuldigung: aufgewärmt, schmecke es noch besser. So ein Grünkohl hat kein Eigenaroma mehr. Er mildert bestenfalls den Fettgeschmack. Ich habe den Verdacht, die Deutschen halten Grünkohl für unverdaulich.

Es geht anders. In den USA etwa, dort heißt er Kale, ist Grünkohl Trendgemüse. Ein Superfood. Glutenfrei? Antioxidanz? Detox? You name it!, sagt der Amerikaner. Ach, eigentlich alles zusammen. Und nie käme man dort die Idee, das Gemüse dem Siechtum auszusetzen. Aus Kale werden Salate gemacht, er wird im Ofen bei mäßiger Temperatur zu Chips getrocknet oder kommt roh in den Mixer – für einen Smoothie.

Möchten Sie Grünkohl neu kennenlernen. Dann gehen Sie boßeln. Mit viel Kümmel, Pinkel, und zerkochtem Gemüse. Und machen Sie am nächsten Morgen bloß weiter. Mit der Entgiftung per Grünkohl-Smoothie. Ich blanchiere.

Fotos: Peet Sneekes, Fossilmike| CC

Die verkrustete Schnitzelfrage

Wir müssen über das Wiener Schnitzel reden. Was macht es aus, wann ist es gut, was kann man falsch machen?

Gibt es das überhaupt? Ein Wiener Schnitzel, das so richtig danebengegangen ist? Mir ist es nicht häufig begegnet. Und selbst wenn: Selten haben die Leute mir dann beigepflichtet. Man stelle sich eine Kantinensituation vor. Selbst ein in verbrauchtem Öl ausgebackenes Exemplar, bei dem sich die Panade mit Fett vollgesogen hat, kommt einem irgendwie genießbarer vor als eine graue Frikadelle oder ein trocken gebratenes Fischfilet. Und ich stelle immer wieder fest: Selbst den traurigsten Massenverköstigungsanstalten, die bei ehrlichem Urteil eigentlich nur Fraß vorsetzen, gelingt es, mit regelmäßigen Schnitzeltagen die Leute bei Laune zu halten.

Über die altbekannte Streitfrage hinaus, ob das Wiener Schnitzel aus Kalbfleisch sein muss oder – nach „Wiener Art“ – auch vom Schwein stammen darf: Wir müssen da generell an der Kritikfertigkeit arbeiten. Denn das Wiener Schnitzel hat mehr verdient. Dieses Gericht ist gustatorisch eine vielfältige Angelegenheit. Da ist ein dünn geschnittenes Stück Fleisch, das den Zähnen einen leichten elastischen Widerstand entgegensetzt. Überzogen von einer krustigen Haut aus Semmelbröseln, voll mit süßlichen Karamellaromen. Allein das ist ein feiner Kontrast.

schnitzel
In Öl schwimmend ausgebacken, wird auch eine dünne Panade krustig

Traditionell gibt es dazu Kartoffel-Gurkensalat, zuweilen auch Krautsalat. Alles meist frisch-säuerlich schmeckende Beilagen, was wiederum ein Kontrapunkt zu den warmen, süßlichen Röstaromen auf der Fleischseite ist. Sitzt noch ein Tupfer Preiselbeermarmelade auf dem Teller, schickt dieses Gericht, das farblich eher eintönig ist, ein ganzes Spektrum von verschiedenen Temperaturen, Aromen und Texturen auf die Zunge und zum Gaumen. Ziemlich komplex eigentlich.

Doch in der Praxis sieht es anders aus: Für mich war Wiener Schnitzel schon als Kind ein Festmahl. Aber ich erinnere mich auch, dass ich mich beim Essen oft fragte, ob es nicht möglich wäre, ein Gericht zu kreieren, das nur aus dieser köstlichen Kruste besteht. Tatsächlich habe ich damals versucht, ein Stück Balsa-Holz aus dem Hobbykeller in Ei und Paniermehl zu tauchen, um das zu bewerkstelligen. Es gab sogar eine Phase, in der ich die ganze Panade vom Fleisch kratzte, um sie auf einmal zu essen, und anschließend den Kartoffelsalat. Die zurückgebliebenen grauen Fleischfladen verschmähte ich mit der Ausrede, ich sei satt. Zurechtweisungen machten mir nichts aus. Und Kinder, die meine Vorliebe für Kruste nicht teilten und sie mir abgaben, zählte ich sofort zu meinen engsten Freunden.

Heute stelle ich fest: In der Schnitzelküche ist die Krustenfrage nach wie vor das Nonplusultra. Lese ich einschlägige Foren, wird dort über kaum etwas anderes so intensiv diskutiert. Inzwischen konnten sogar wissenschaftliche Studien belegen, dass ein Wiener Schnitzel, wird es in Öl schwimmend ausgebacken, nicht nur weniger Fett aufnimmt und damit verträglicher ist. Sondern dass es im Mund auch noch stärker knuspert. Auch die Dicke der Kruste ist ein Thema. Kein Problem: Jedes Wiener Schnitzel lässt sich notfalls mehrfach ummanteln. Man muss es nur immer wieder aufs Neue durch Ei und Paniermehl ziehen.

Doch soll das die ganze Kunst sein? Was ist mit dem Fleisch, wenn die Krustenfrage so dominant wird? Warum verlangen gewiefte Wiener-Schnitzel-Esser auch noch bevorzugt nach feinem Kalbfleisch aus der Keule, wenn selbiges unter der dicken Kruste meist nur als dünnes, graues Etwas hervorscheint? Da ist die Variante Balsa-Holz doch ehrlicher! Was würden Sie von einem Schnitzel halten, das fein und fest umhüllt ist und auch noch saftiges, rosa Fleisch freigibt? Klingt gut, nicht? Aber ich verspreche Ihnen, das finden Sie selten.

Foto: Lars Plougman / CC

Halloween ist vorbei

Ja, dabei könnte es sich auch um Kürbisse handeln: „Hokkdinida“ steht auf dem Schild an dem Stand kurz vor der Kurve. Man sieht zurzeit viel davon, fährt man über Land. Die Stände, die sonst Spargel, Erdbeeren oder Pilze anbieten, haben große Haufen von Kürbissen aufgetürmt. Manchmal liegen sie auch einfach am Straßenrand, ohne eine Menschenseele, die sich um den Verkauf kümmern würde. Man darf selbst entscheiden, ob man die gewünschte Summe in die Sparbüchse steckt. Auch bei den „Hokkdinida“, einer Sorte, die mir in Bayern begegnet ist, war das so. Es handelte sich um orangerote Exemplare, fast so groß wie Medizinbälle und geeignet, mich darauf „niederzuhocken“, aber eigentlich sahen sie doch eher nach Hokkaidos aus.

Der Kürbis: Es ist die schiere Größe und die harte Schale dieser Frucht, die uns erfinderisch gemacht hat, daraus mehr zu machen als nur eine Zutat. Nicht nur als Sitzgelegenheiten (wofür sich andere Kürbisse übrigens weit besser eignen als der Hokkaido), als Laterne, Instrument, Maske, Zierrat oder auch als Schüssel oder Becher. Es mag sein, dass außerdem nur wenigen beim Gedanken daran das Wasser im Mund zusammenlief. So wie dem populären französischen Kochbuchautor, der unter dem Pseudonym Menon publizierte: „Sie taugen zu nichts anderem als zu Suppe mit Milch“, schrieb der schon Ende des 18. Jahrhunderts.

Doch es hat eine Renaissance eingesetzt. Zu verdanken ist das vor allem dem – genau „Hokkdinida“. Der Hokkaido schmeckt nussig, ein wenig wie Kastanie, in Frankreich wird er darum auch Potimarron genannt, Maronenkürbis. Ein weiterer Vorteil: Seine Schale ist essbar, im gekochten Zustand. Doch am wichtigsten: Es gibt ihn eigentlich nie so ausladend wie ein Sitzpuff, sondern eher handballgroß, was auch in kleineren Haushalten den Respekt vor der Bevorratung abgebaut haben dürfte. Denn einen Kürbis zu kaufen und ihn dann wochenlang zu Suppe pürieren zu müssen, ist keine schöne Vorstellung.

Diesen Kürbis nur zu Brei zu machen, finde ich aber langweilig. Es gibt viel mehr Möglichkeiten: Für Faule bietet sich an, den Hokkaido in Stücke zu schneiden, zu salzen, in etwas Olivenöl zu wenden und dann im Ofen zu backen. Unter der karamellisierten Kruste beißt man dann in butterweiches Kürbisfleisch, sehr köstlich. Wegen der Süße, die sich beim Kochen entwickelt, kann man auch starke Aromen dagegensetzen, zum Beispiel Salbei. Es gibt ein Risotto-Rezept aus Norditalien, bei der ich diese Kombination entdeckt habe, sie inzwischen aber nicht nur mit Reis, sondern auch mit Pasta versucht habe. Einer meiner Favoriten ist aber Matjes. Salzsaurer Hering mit süßlichem Kürbisstampf, da kommen die besten Bratkartoffeln nicht gegen an. Und dann Kürbis-Crumble. Das Dessert sollte man unbe-dingt mal versucht haben. Ich mische noch Birnen darunter und gebe in die Mehl-Zucker-Butter-Mischung für die Streusel noch zerstoßene Amarettini.

Der Kürbis ist übrigens ein Weltenbummler. Obwohl heutige Speisekürbisse meist lateinamerikanische Vorfahren haben, kannten schon die Römer das Gewächs. Während viele Lebensmittel von Händlern und Botanikern rund um den Globus verteilt wurden, scheint es, der Kürbis habe das selbst angestellt. So hohl und wegen der harten Schale kann sich die Frucht weit übers Meer treiben lassen. Auch der Hokkaido hat eine ziemlich weitgereiste Geschichte. Es handelt sich um eine japanische Weiterzüchtung einer brasilianischen Sorte, die ursprünglich von den Portugiesen nach Europa eingeführt wurde. Er kann es also verschmerzen, wenn sich die Bezeichnung „Hokkdinida“ in Süddeutschland einbürgern sollte.

Foto: Zeitfixierer | CC

Pfeffriges Waldgold

Es gab eine Zeit, da habe ich mich gewundert, warum etwas keinen Pfifferling wert sein soll. Ich benutze ausdrücklich die Vergangenheitsform, weil sich die Frage nicht mehr so dringend stellt. Die kulinarische Metapher ist der Alltagssprache fremd geworden. Man sagt heute nicht mehr, dass mit jemand nicht gut Kirschen essen ist, man lässt auch nichts mehr auf kleiner Flamme kochen, sondern versucht eher, den Ball flach zu halten. Und den Braten riecht auch niemand mehr, dafür aber zehn Meter gegen den Wind, wenn etwas faul ist. Man kann das für schade halten, es sagt aber auch etwas über unsere Beziehung zu Lebensmitteln aus.

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Reherl, Eierschwammerl, Chanterelle oder einfach: Pfifferling

Was es mit dem Pfifferling auf sich hat, ist jedenfalls umstritten. Es gab eine Zeit, in der dieser Pilz in deutschen Wäldern so stark verbreitet und leicht zu sammeln war, dass er den Menschen ziemlich wertlos vorkam. Das könnte der Ursprung sein. Genauso wahrscheinlich ist aber, dass der Pfifferling in der Redewendung aus dem „Fünferle“ oder „Fifferle“ entstanden ist, wie man im süddeutschen Raum einst das Fünf-Pfennig-Stück bezeichnete. Keine Ahnung, was stimmt.

Der Pfifferling jedenfalls ist mir einiges wert. Er fällt mir als Erstes ein, wenn ich an Pilze denke. Und nicht etwa Champignons, diese wie normiert aussehenden Gewächse, die heutzutage vor allem in ehemaligen Bunkern und U-Bahn-Röhren vorkommen. Pfifferlinge lassen sich nicht züchten, sie sind das Waldgold, wenn sie eidotterfarben und wie Frühjahrsblumen den Boden unter den Bäumen sprengseln. In Osteuropa oder auch in Skandinavien lässt sich das noch beobachten.

Und zu ihrer Wildheit gehört auch, dass sie es dem Koch nicht ganz so leicht machen. Denn während es kaum Aufwand ist, Champignons, Steinpilze oder auch Seitlinge zu putzen, meist reicht es, die wenigen Stückchen Erde mit Küchenpapier abzuwischen, stellen sich Pfifferlinge an. Da klemmen noch Fichtennadeln zwischen den feinen Lamellen, und der Grind setzt sich vorzugsweise in den Tiefen der Schirme ab, dort, wo kein Fingernagel hinkommt und auch kein Pinsel, der so dick wäre, dass er etwas ausrichten könnte. Man würde es gerne, aber Pilze zu waschen, das ist verboten. Total verboten. Warum, lernt man spätestens, wenn Pilze in der Pfanne liegen und das Wasser, das sie aufgesogen haben, wieder abgeben. Nicht von ungefähr nennt der Bayer sie Schwammerl. Ich habe dem Verbot nur einmal zuwidergehandelt und beobachten müssen, wie Pilze sich in matschige Gestalten verwandelten, die schmeckten wie aus der Dose.

Bei Pfifferlingen allerdings gibt es eine Ausnahme. Sie lassen sich waschen, aber unter einer Bedingung. Man rührt ein, zwei Esslöffel Mehl ins Wasser, kurz bevor man die Pilze hinzugibt. Das Mehl wirkt erstens wie Schmirgelpapier und scheint zweitens, die feinen Poren der Pfifferlinge zu verstopfen. Sie saugen sich nicht so stark voll. Trotzdem sollte das Bad möglichst kurz sein. Ich wirbele die Pilze nur ein paar Sekunden durchs Wasser und habe vorher schon die sauberen Exemplare aussortiert. Der Trick funktioniert. Nur sollte man die Pilze vorher nicht geschnitten haben. Gegen den Schwammeffekt ist auch das Mehl hilflos.

So zart man die Pilze vorher behandeln sollte, am Herd ist es mit der Vorsicht vorbei. Ich brate Pfifferlinge in einer knallheißen Pfanne an, bis sie braun sind und knackig. Es ist dabei ganz egal, ob ich sie für ein Risotto vorgesehen habe, eine Pilzsauce oder ob sie nur in ein Omelette geklappt werden sollen. Die leichte Pfeffrigkeit, die ihnen den Namen gegeben hat, kommt so am besten raus. Dann fragt man sich doch, ob tatsächlich nie jemand ein Königreich für ein paar Pfifferlinge eingetauscht hat.

Foto: trupastilla

Der Vater aller Suppen

Auf dem Herd steht schon der große Topf. Denn kaum liegt das erste Laub auf den Gehwegen, bekomme ich Appetit auf Suppe. Es gibt sogar einen bestimmten Moment, in dem sich mir das Bild einer Schüssel mit goldener Flüssigkeit vor die Augen schiebt. Gemüse und Nudeln schwimmen darin, ein Häufchen Parmesan thront darauf, und Schwaden von Aroma hängen darüber. Ich kann es fast riechen. Das ist, wenn ich das erste Mal mit einer Schnupfennase nach Hause komme. Am Wochenende soll es nass werden? Wie schön. Zeit, mich mit Brühe zu bevorraten.

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Minestrone: Die sommerliche Variante

Nicht schon wieder Suppe, werden sich nun vielleicht einige treue Leser denken. Doch es muss sein. Denn ich kenne nur wenige Menschen, die ein ausgeglichenes Verhältnis zu diesem Gericht haben, das irgendwo in der Mitte zwischen Essen und Trinken angesiedelt ist – und wahrscheinlich eine der ältesten Speisen der Menschheit ist. Doch viele nehmen es heutzutage möglichst billig aus der Tüte zu sich oder gehen in Spezialitätenrestaurants namens „Suppenküche“. Aus den Speisekarten gehobener Restaurants ist die Suppe deshalb weitgehend verschwunden. Gleichzeitig fallen mir immer wieder Kochbücher in die Hände, vor allem von namhaften Köchen, die vom Fond bis zur Einlage seitenweise über die Zubereitung philosophieren.

Ich lernte schon früh, dass ein Lokal dann vielversprechend ist, wenn die Suppe schmeckt. Für Kochbücher gilt die Regel übrigens genauso.

Um den Sommer zu verabschieden, koche ich Minestrone. Denn noch liegt in den Läden die ganze Ausbeute der Erntezeit, reife Tomaten sowie die ersten Kürbisse. Minestrone ist so etwas wie Erntedank in der Schüssel. Natürlich, ich könnte auch von Gemüsesuppe schreiben, aber der Begriff klingt zu stark nach gesundem Fastengericht. Das ist die Minestrone eventuell auch, sie ist jedoch auch Fülle, Aroma, Übermaß. Allein schon das Wort: Minestrone ist die Vergrößerungsform von minestra, italienisch für Suppe. Das spricht man fast von selbst vollmundig aus.

Man sollte sich am Herd davon inspirieren lassen. Ich lasse es laut durch die Küche rollen: Minestrrroooone. Das ist schon die halbe Miete. Ein ultimatives Rezept gibt es nicht, wie so oft in der italienischen Küche, sondern Hunderte. Sommerliche Varianten mit Tomate, Zucchini und Pesto und herbstliche mit Pilzen, Kohl und Steckrüben. Ich koche Minestrone nach der gefühlten Wetterlage.

Einige Grundprinzipien sollte man aber nicht vergessen. Minestrone ist ein Dreierlei aus Brühe, Einlage und „Auflage“. Und wenn jede Komponente für sich schmeckt, umso besser. Das ist die Hauptsache, egal ob bei Gemüse-, Hühner- oder Rinderbrühe. Nehmen Sie vor allem ihre Lieblingssuppe. Bei den Einlagen empfiehlt sich, Wurzelgemüse im Topf anzuschwitzen und auch zu salzen, dann entwickelt sich mehr Geschmack. Und zartes Gemüse wie Erbsen, Tomaten, Radicchio oder auch anderen Salat so spät hinzuzufügen, dass sich noch Biss und Frische halten.

Das zahlt sich aus, genauso wie eine gute Mischung aus stärkehaltigen, proteinreichen Zutaten und Gemüse. Das ist das zweite Grundprinzip. Kein Minestronerezept begegnet einem ohne Kartoffeln, Nudeln, Reis und Bohnen, diesen eiweißreichen Hülsenfrüchten. Erst diese Kombination macht aus der Minestra die Macho-Variante, füllig und nahrhaft. Darüber träufelt man gutes Olivenöl, feine Kräuter, vielleicht einen Spritzer Zitrone, geriebenen Käse oder Croutons. Oder einfach alles zusammen.

Warum man so eine Minestrone auslöffeln muss, das könnte ich noch lange erklären. Aber ich muss an den Herd, die Suppe abschäumen.

Foto: hand-nor-glove | CC

Geliebtes Adoptivkind

Auf einer Party bekam ich vor einigen Tagen fast pünktlich um Mitternacht Buletten serviert. Eigentlich eine schöne Geste des Gastgebers. Die Klopse waren auf dem Teller zu einer mächtigen Pyramide gestapelt, aber das war am Ende auch das Schönste daran. Sie entpuppten sich als gräulich-braune, trockene Formware. Was will man machen? Zu so später Stunde ist auch das eine Grundlage, um ein weiteres Bier zu öffnen und den Abend etwas zu verlängern, vor allem wenn die Chips schon ausgegangen sind.

hackfleischAm nächsten Tag machte mir der Kater zwar zu schaffen. Dominanter war aber mein Bedürfnis, bei irgendeinem Bulettengott Abbitte zu leisten. Die Kopfschmerzen waren kaum weg, da holte ich schon den Fleischwolf aus dem Schrank, um mich wieder ins Lot zu bekommen. Ich war sicher, dass das nur gelänge, wenn ich am Ende saftige, zarte und innen rosige Buletten aus der Pfanne heben würde.

Wenn es einen Klassiker der klassischen deutschen Küche gibt, dann gehört die Frikadelle zu den Favoriten. Es gibt keine größere Erfolgsgeschichte. In Form des Hamburgers gelangte sie zu Weltruhm. Mit den Auswandererschiffen der Hamburg-Amerika-Linie erreichte das Beefsteak aus Rinderhackfleisch zu Beginn des 20. Jahrhunderts New York und machte dort als „Hamburg-Steak“ Karriere. Zwischen Brothälften gelegt entstand daraus der Burger.

Wobei: An der deutschen Urheberschaft für dieses Gericht sind Zweifel erlaubt. Die älteste Bezeichnung für den Fleischklops stammt aus dem Niederländischen. Erstmals erwähnt wird das Gericht Ende des 17. Jahrhunderts im Brandenburger Kochbuch von Maria Sophia Schellhammer. „Also haben wir die Frikedellen, so viel wir wissend, denen Holländern zu dancken“, schrieb die Autorin damals. Sie wusste, die Niederländer kannten die „frikadel“ schon mehr als hundert Jahre länger. Dort legt man wurstförmige Gebilde aus geschabtem Fleisch, umhüllt von Fettnetzstücken von Kalb oder Schwein, bereits seit dem 16. Jahrhundert ins heiße Fett. Trotzdem ist aus dem Bratklops mehr als ein geliebtes Adoptivkind geworden. Kein Sprachraum hat mehr Bezeichnungen für ihn hervorgebracht. In Norddeutschland heißt er Frikadelle, in Berlin verwendet man das französisierende Fantasiewort Bulette, im Süden sind es Fleischküchle, Fleischkräpfle und Fleischpflanzerl, je nachdem, ob man nach Schwaben oder Bayern blickt. Und über der Grenze in Österreich sagt man „faschierte Laiberln“.

Klingt, als sollten die Deutschen ein Gefühl für Hackfleisch haben – spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Denn wie die Koch-Historikerin Petra Foede herausgefunden hat, findet man vorher in Rezeptsammlungen nur vereinzelt Frikadellen-Rezepte. Noch musste das Fleisch mühsam und langwierig mit dem Messer geschabt werden. Mit Erfindung des Fleischwolfes im 19. Jahrhundert veränderte sich das aber schlagartig.

Nicht alles dreht sich bei der Frikadelle ums Fleisch. Kaum ein Rezept kommt ohne Eier und in Milch eingeweichtes Brot aus, angeblich damit der Klops in der Pfanne nicht zerfällt. Was nicht ganz stimmt. Das sieht man am Hamburger, der besteht aus purem Hackfleisch. Eier und Brot dienten immer dazu, um aus wenig Fleisch größere Portionen zu machen und Bindung dann zu verleihen, wenn noch viele andere Zutaten hinzukommen.

Was ich sehr empfehle: zum Beispiel in der Pfanne angeschmolzene Zwiebelwürfel. Rohe Zwiebeln in der Fleischmasse garen selten durch. Zitronenabrieb eignet sich auch, ebenso geriebene Kartoffeln, praktisch jedes Kraut im Garten, Kapern, Pinienkerne, sogar Rosinen. So oder so sind Frikadellen aber fast immer eine gute Grundlage, sich noch ein paar angenehme Stunden in der Küche zu machen.

Foto: Another Pint Please … | CC

Die Heuchelei mit der Knolle

Knoblauch muss ein ganz gefährliches Zeug sein. Es greift die Hände an, ist eventuell giftig oder sogar radioaktiv. Man sollte es auf alle Fälle nur mit spitzen Fingern anfassen.

Warum? Nein, das fragt niemand. Ich muss mir nur ansehen, was so alles auf dem Markt ist, nur damit man mit den kleinen Zehen nicht in Berührung kommen muss: Knoblauchreiben in allen möglichen Formen und mit ergonomischen Griffen, passend für jede Hand, so viele gibt es. Noch mehr Knoblauchreiben, aus Edelstahl, Aluminium oder Plastik – mit oder ohne Selbstreinigungsfunktion. Sogar eine Schälhilfe habe ich entdeckt – ein Silikonschlauch, sozusagen ein Knoblauchkondom. Die Zehen werden darin eingesetzt, der Schlauch anschließend mit etwas Kraft auf dem Küchentisch ein paar Mal hin und her gerollt und dann ist die Schale ab, verspricht die Verpackung. Und die Hände bleiben sauber. Also, da kann mir niemand was erzählen. Da ist ein riesiger Bedarf. Mit Knoblauch kommt man am besten nicht in Berührung.

knoblauch
Eine Schönheit, die stinkende Finger macht. Aber dagegen gibt es ein einfaches Mttel

Oder besser: Hat man nicht in Berührung zu kommen. Neulich war ein Freund bei mir zum Kochen da. Dass in einer ganz passabel ausgestatteten Küche keine Knoblauchpresse zur Hand war, sondern sich schließlich ein uraltes, angelaufenes Exemplar im letzten Winkel einer Schublade anfand, löste ein sehr ungnädiges Kopfschütteln aus.

Ich brauche solche Dinger nicht mehr. Knoblauch zu behandeln, das ist hierzulande eine Wissenschaft, an der man den echten Amateur erkennt. Ich kann nicht mehr hören, wenn mir Leute erzählen, dass der grüne Spross aus der Zehe entfernt werden muss. Sonst wird das Essen bitter. Stimmt, wenn man mehr Knoblauch verwenden würde als die meisten von uns es tun. Und wenn man zusätzlich den Knoblauch anbrennen lassen würde, was mit dem gepressten und geriebenen Zeugs auch ganz leicht gelingt.

Wo viel Knoblauch gegessen wird, macht man nicht so ein Gewese. In Chinas Nudelküchen liegt neben Sojasauce und Essig oft eine Knolle rohen Knoblauchs. Das ist keine Deko. Man bricht sich einfach eine Zehe aus der Knolle, schält und isst sie. Und in den Küchen habe ich Kinder gesehen, die mit Messern, die in unseren Augen Hackebeilen gleichen, Knoblauch feiner hackten als es viele Küchenhelfer vermögen.

Man kann Knoblauch aber selbstverständlich auch mit einem hiesigen Küchenmesser kleinschneiden. Ohne Zeitverlust. Das erfordet nur ein bisschen Übung. Und eine andere Haltung. Denn wer sagt, dass Knoblauch in mikroskopisch kleine Partikel geschnitten werden muss. Hat sich schon mal jemand an einem Brocken Knoblauch ein Zahn ausgebissen? Oder hat ein zu großes Stück Ekel ausgelöst?

Wer Knoblauch bis zur Unkenntlichkeit im Essen verstecken muss, ist ein Heuchler. Und oft dieselben Menschen, die in diesen Tagen wieder aufbrechen, um in Wäldern und auf Märkten Büschel von eindringlich und scharf riechendem Bärlauch zu sammeln. Knoblauch gehört nicht ins Essen wie Salz in die Suppe. Viele mediterrane Gerichte kommen gut ohne aus. Und in andere kann man nicht genug hineingeben. Zu Lammbraten werfe ich ganze Knollen mit in den Ofen und esse den Knoblauch, der im Fett süß karamellisiert, wie Gemüse.

Greifen Sie doch mal eine rohe Zehe an, zerdrücken Sie mit den Fingern. Nehmen Sie ein Messer und würfeln Sie den Knoblauch. Sehen Sie sich an wie gut das aussieht, verglichen mit den matschigen Würmern aus der Presse. Zerteilen Sie die Zehen grob, streuen Sie etwas Salz darauf und zerquetschen Sie mit der breiten Seite der Klinge. Schaben Sie mit Druck über das Schneidbrett als ob Sie das Messer schärfen wollten. Es entsteht ein feines Mus. Nur eine Messerspitze davon bringt richtig Bums in Linsen- oder Kartoffelsalat.

Sie haben Angst, dass ihre Finger nach so einer Aktion noch Tage stinken? Mit Recht. Aber dagegen gibt es ein Mittel: Edelstahl und Wasser. Wischen Sie mit nassen Fingern über die Innenseiten der Spüle. Oder durch einen Topf. Warum das den fiesen Geruch vertreibt, weiß nicht mal die Wissenschaft genau zu erklären. Aber es wirkt.

Wenn Sie das alles getan haben und Ihre Knoblauchpressensammlung noch immer behalten wollen, dann … soll es mir eben recht sein.

Ouvertüre mit Safran

Wenn mir ein Gericht schiefgeht, dann merke ich oft: Es war schon von Anfang an alles falsch. Ich habe die Einkäufe nicht ausgepackt, die Zutaten aus den verschiedenen Tüten herausgerissen, war einfach nicht bei der Sache, und als es daran ging, die Nudelsoße zu probieren, habe ich noch nebenbei telefoniert und mir prompt die Zunge verbrannt. Und jetzt schmecke ich gar nichts mehr.

Safran zerbröseln, heißes Wasser drauf
Ach was, die Farbe. Da ist der Geruch, der aufsteigt

Man muss sich manchmal in den richtigen Mood versetzen, es mit dem Kochen langsam angehen lassen, auch wenn man in einer Stunde im Kino verabredet ist: Sonst kann so viel schiefgehen, dass es besser gewesen wäre, man hätte sich einfach ein paar gute Butterbrote geschmiert.

Im Alltag beginnt das Kochen in vielen Fällen mit ein oder zwei Zwiebeln. Kaum eine Nudelsoße kommt ohne aus. Auch ein Risotto verlangt ein sogenanntes Sofritto. Dafür müssen mindestens Zwiebeln und Knoblauch geschält und gehackt werden. Ich schätze, fast die Hälfte all meiner Rezepte beginnen damit, dass ich eine Gemüsezwiebel zur Hand nehmen muss. In den ersten Minuten mit tränenden Augen am Herd zu stehen: Ich kann mir was Besseres vorstellen. Glücklicherweise bin ich in puncto Zwiebeln inzwischen etwas abgehärtet. Aber ein wirklich schöner Auftakt sieht anders aus.

Um Muße zu finden, lege ich vor dem Kochen manchmal gute Musik auf oder schenke mir ein Küchenbier ein. Ganz selten versammele ich auf dem Küchentisch sämtliche Zutaten, die in der nächsten Stunde zum Einsatz kommen werden. Vor allem bei komplexen Rezepten, die man das erste Mal kocht, empfiehlt sich das aber. Auch sich endlich mal wieder mit Messer und Wetzstahl zu beschäftigen, ist ein guter Warmmacher. Für mich ist derzeit der Der wunderbarste Einstieg ins Kochen, wenn ich einige Fäden Safran mit einem winzigen Schuss Wasser aufbrühen darf. Ich nutze jede Gelegenheit dazu.

Safran steckt bei mir in diesen Papierumschlägen von der Größe einer Briefmarke. Das ist eine Verpackung, so klein, dass man von selbst ganz vorsichtig mit ihr umgeht und die rot-goldenen Pretiosen mit spitzen Fingern, sehr behutsam und am besten die Luft anhaltend aus dem Papier nimmt. Wie ein etwas stärkerer Schnaufer die ganze Pracht auf den Fußboden und vor die wässrige Schnauze meines Katers geweht hat, davon kann ich mehrere Geschichten erzählen. Ich atme erst aus, wenn die feinen, getrockneten Griffel des Safran-Krokusses sicher in der Keramik liegen und vorsichtig mit heißem Wasser benetzt sind. In Sekunden färbt sich die Flüssigkeit orangerot und ein Duft steigt mir in die Nase, blumig-sinnlich, orientalisch-süß – ein Wohlgeruch, der bis zum Essen nicht vergehen soll.

Safran macht den Kuchen gehl, heißt es in „Backe, backe Kuchen“. Wegen der Zeile aus dem alten Kinderlied haben wir gelernt, welche Farbkraft der Blütenextrakt hat. Aber sie verbirgt, welch starkes Aroma Safran eigentlich liefert. Ich füge nur ein hundertstel Gramm zu einer Soße aus einer kleinen Dose Tomaten hinzu und der Effekt ist gewaltig. Die starke salzige Fruchtigkeit ist von Eleganz durchwebt. Und wenn Safran das bei geschmacksintensiven, konzentrierten Tomaten schafft, dann hat er sonst noch leichteres Spiel.

Es ist ein harmonisierendes Gewürz, ganz ähnlich wie Vanille. Nicht nur bei mediterranen oder orientalischen Gerichten kommt Safran deswegen bei mir zum Einsatz, obwohl er hier natürlich seinen Stammsitz hat – als edle Zutat im Risotto oder in der Paella. Aber genauso können die getrockneten Blütenfäden eine Aprikosen-Marmelade verfeinern. Sogar in einer Marinade für ein Hühnchen hat das Gewürz Wirkung. Bei einem Fischfilet, das auf der Hautseite kurz in Safranmehl gewälzt wurde, will man sich nach dem Braten jeden Tropfen Zitrone sparen, um das Aroma zu bewahren.

Zur Zeit ist es so: Sogar wenn ich eine Schweinshaxe zubereite und Safran nicht als Zutat verwende, will ich diese anfängliche olfaktorische und feinmotorische Mediation machen, um in die richtige Stimmung zu kommen. Aber dafür sind meine Safranbestände leider zu begrenzt.

Foto: hepp | CC