Der grüne Kitt für all das harte Zeugs

Kennen Sie Grünkohl? Ich behaupte mal dreist: Nein.

Vor einiger Zeit lag ein grünes Blatt auf meinem Teller. Es krönte eine kleine Scheibe Pastete. Der Kellner hielt sich bedeckt, was das sei. „Da kommen Sie nie drauf“, sagte er, „ich verrate es erst hinterher.“ Er wusste, mit einem Gast wie mir kann man das machen. Ich biss hinein: ziemlich al dente und ein sehr grüner und gleichzeitig nussiger Geschmack. Ein Blatt, dass es in sich hatte. Der Kellner strahlte mich an: „Grünkohl, nur ein paar Minuten blanchiert.“ Da wusste ich, Sie und ich kennen dieses Gemüse nicht.

Grünkohl hat nun wieder Saison. Und kommt nicht einfach so auf den Tisch, Grünkohl wird zelebriert, vor allem in Norddeutschland. Dort treffen sich die Menschen zum Boßeln. Sie wandern mit Schnaps bewehrt an Deichen entlang und über Wald und Flur. Die Richtung zeigt eine Kugel, die abwechselnd nach vorne geschmissen wird und nach der dann alle suchen, je nachdem, wie leer die Schnapsflaschen bereits sind.

Historische Kohlfahrt
Historische Kohlfahrt 1934 in Jever

Der Höhepunkt ist das folgende Grünkohlessen. Nichts schmeckt besser, wenn man ausgekühlt und beschwipst – die Kugel führt naturgemäß nie den direkten Weg – aus der novemberlichen Nasskälte ins Haus kommt und das Gefühl hat, dass einem der Kümmel schon aus den Ohren dunstet. Diese Spirituose gehört zum Grünkohl-Ritual nämlich so wie Pinkel und Bregenwurst. Das wiederum sind Fleischerzeugnisse, die traditionell mit Hafergrütze und Hirn bezutatet sind. Zum Leidwesen vieler Norddeutscher ist Hirn allerdings heute verboten.

Doch, es spricht einiges dafür, Boßeln endlich als Weltkulturerbe anzumelden. Wenn nur dem Grünkohl dabei etwas Würde gelassen würde.

Auf den ersten Blick gehört er gemeinsam mit Spargel und Kartoffel zur Chef-Troika des deutschen Gemüses. Über wenig anderes können wir so lange philosophieren wie Italiener über Pasta oder Franzosen über eine Pastete. Beim Grünkohl allerdings geht es nie um das Gemüse selbst, sondern um all das, was dazugehört an: die Wurst, das Fleisch, der Schnaps. Der Kohl ist nur der grüne Kitt für all die harten Sachen.

Was mit ihm passiert, als Rezept zu bezeichnen, schaffe ich nicht. Grünkohl wird mit Bauchspeck oder anderen Fettlieferanten stundenlang geschmort, bis eine grau-grüne Masse entstanden. Ein Martyrium. Dass dann noch Vitamin C vorhanden sein könnte, für das der Grünkohl so gefeiert wird: schwer vorstellbar. In Süddeutschland, wo ich Menschen die Delikatesse vorführen wollte, wurde ich sogar einmal gebeten, den Kohl vorsichtshalber noch länger auf dem Herd zu lassen. Andere schwören, noch ein zweites Mal totgekocht, entschuldigung: aufgewärmt, schmecke es noch besser. So ein Grünkohl hat kein Eigenaroma mehr. Er mildert bestenfalls den Fettgeschmack. Ich habe den Verdacht, die Deutschen halten Grünkohl für unverdaulich.

Es geht anders. In den USA etwa, dort heißt er Kale, ist Grünkohl Trendgemüse. Ein Superfood. Glutenfrei? Antioxidanz? Detox? You name it!, sagt der Amerikaner. Ach, eigentlich alles zusammen. Und nie käme man dort die Idee, das Gemüse dem Siechtum auszusetzen. Aus Kale werden Salate gemacht, er wird im Ofen bei mäßiger Temperatur zu Chips getrocknet oder kommt roh in den Mixer – für einen Smoothie.

Möchten Sie Grünkohl neu kennenlernen. Dann gehen Sie boßeln. Mit viel Kümmel, Pinkel, und zerkochtem Gemüse. Und machen Sie am nächsten Morgen bloß weiter. Mit der Entgiftung per Grünkohl-Smoothie. Ich blanchiere.

Fotos: Peet Sneekes, Fossilmike| CC

Souvenir aus Kastanien

Die seltsamsten Souvenirs sind die, die man schon besitzt, bevor man auf Reise geht. Wie dieser Packen eingeschweißter, vakuumierter Kastanien in meinem Vorratsschrank. Auf einmal ist er mir wieder eingefallen. Wann ich ihn gekauft habe? Keine Ahnung. Ob das Haltbarkeitsdatum überschritten ist? Hoffentlich nicht.

Hier im Limousin – die Ferien haben mich nach zwei Jahren Pause endlich wieder nach Frankreich und nahe an die Atlantikküste geführt – sind die Kastanien zuhause. Dieser Landstrich ist so etwas wie die französische Uckermark: sehr wenige Menschen, viel Natur. Und man kann nicht sagen, dass er kulinarisch reich wäre. Aders als weiter südlich: Ja, da liegt das Perigord, mit Trüffel und  Entenstopfleber, den Bergerac-Weinen und hervorragendem Käse.

Weiter nördlich wächst kein Wein, hier sind die Wiesen saftig. Haselnussbraunes Vieh weidet darauf, das Limousin-Rind, es ist für sein Fleisch berühmt. Aber auf einer längeren Wanderung kann man Köstlichkeiten finden: Brombeeren, wilde Äpfel und Birnen, Sauerampfer, Brunnenkresse. Und Steinpilze. Alles wächst fast am Wegrand.

Und über einem hängen in dem hellgrünen Laub der Kastanien diese hellgrünen Bälle. Als wenn sich Igel mit Tennisbällen gepaart hätten. Darin stecken die Nüsse, die diese Region neben den Rindern prägt. Kaum eine Ortschaft, in der es nicht eine Rue des Chatagniérs gäbe oder eine Maison des Marroniers.

Dass die Kastanie solche Denkmäler erhalten hat, liegt daran, dass sie einst zu einer Rarität geworden war. Ihr Holz enthält viel Tannin, einst ein wichtiger Gerbstoff. Zu Beginn der Industrialisierung und bevor Chemiker künstlichen Ersatz entwickelt hatten, war es für Kastanienbauer kurzzeitig einträglicher, gleich den gesamten Stamm zu verkaufen. Ganze Wälder wurden abgeholzt.

So verschwand auch ein Grundnahrungsmittel. Das war die Kastanie über viele Generationen im Limousin, südwestlich in der Ardeche, auch in der Toskana. Ihre Nüsse enthalten kaum Öl, dafür aber viel Kohlenhydrate und Zucker. Brot der Armen wurde sie deshalb genannt. Glückliche Arme: Es wuchs ohne großes Zutun an den Bäumen.

Doch ausgerechnet jetzt sind sie noch nicht reif. Der Herbst ist zu jung. Es ist leichter, Pilze zu finden, sogar im Supermarkt oder an den Marktständen. Nur gut, dass es hier Menschen gibt, die Kastanien einmachen. Und einen verrückten Deutschen damit ausstatten, kurz bevor die Saison startet.

Ein großes Glas Maronen steht nun auf dem Küchentisch. So heißen die besonders großen Nüsse der Edelkastanie. Man sollte sie nicht verwechseln mit der Rosskastanie, dem deutschen Straßen- und Biergartenbaum, eine völlig andere Pflanze, auch wenn sich die Früchte so ähnlich sind. Die Maronen sind in diesem Urlaub meine Trüffel. Wie es immer ist, wenn man die Zutaten fast abzählen kann: Die Exklusivität regt die Phantasie an.

Ich habe sie in den letzten Tagen grob gehackt, in Butter angebraten und mit Ziegenkäse über Salat gestreut. Oder im ganzen ebenfalls knusprig ausgebacken in einen Rinderschmortopf versenkt. Dieses kartoffel-nussige Aroma passt zu vielem, mit Knoblauch und Rosmarin wird aus Kastanien auch ein feines Pesto für Spaghettini. Hier in der Gegend gibt es natürlich noch mehr Variationen, für Süßspeisen, für Pürees, für Polenta und Brot.

Inzwischen ist das Glas aber schon fast leer. Um so mehr denke ich an das, was hier einfach nicht aufzutreiben ist. Diesen einen  Beutel vakuumierter Kastanien zuhause in Berlin.

Foto: mout1234 | CC

Pfeffriges Waldgold

Es gab eine Zeit, da habe ich mich gewundert, warum etwas keinen Pfifferling wert sein soll. Ich benutze ausdrücklich die Vergangenheitsform, weil sich die Frage nicht mehr so dringend stellt. Die kulinarische Metapher ist der Alltagssprache fremd geworden. Man sagt heute nicht mehr, dass mit jemand nicht gut Kirschen essen ist, man lässt auch nichts mehr auf kleiner Flamme kochen, sondern versucht eher, den Ball flach zu halten. Und den Braten riecht auch niemand mehr, dafür aber zehn Meter gegen den Wind, wenn etwas faul ist. Man kann das für schade halten, es sagt aber auch etwas über unsere Beziehung zu Lebensmitteln aus.

pfifferlinge
Reherl, Eierschwammerl, Chanterelle oder einfach: Pfifferling

Was es mit dem Pfifferling auf sich hat, ist jedenfalls umstritten. Es gab eine Zeit, in der dieser Pilz in deutschen Wäldern so stark verbreitet und leicht zu sammeln war, dass er den Menschen ziemlich wertlos vorkam. Das könnte der Ursprung sein. Genauso wahrscheinlich ist aber, dass der Pfifferling in der Redewendung aus dem „Fünferle“ oder „Fifferle“ entstanden ist, wie man im süddeutschen Raum einst das Fünf-Pfennig-Stück bezeichnete. Keine Ahnung, was stimmt.

Der Pfifferling jedenfalls ist mir einiges wert. Er fällt mir als Erstes ein, wenn ich an Pilze denke. Und nicht etwa Champignons, diese wie normiert aussehenden Gewächse, die heutzutage vor allem in ehemaligen Bunkern und U-Bahn-Röhren vorkommen. Pfifferlinge lassen sich nicht züchten, sie sind das Waldgold, wenn sie eidotterfarben und wie Frühjahrsblumen den Boden unter den Bäumen sprengseln. In Osteuropa oder auch in Skandinavien lässt sich das noch beobachten.

Und zu ihrer Wildheit gehört auch, dass sie es dem Koch nicht ganz so leicht machen. Denn während es kaum Aufwand ist, Champignons, Steinpilze oder auch Seitlinge zu putzen, meist reicht es, die wenigen Stückchen Erde mit Küchenpapier abzuwischen, stellen sich Pfifferlinge an. Da klemmen noch Fichtennadeln zwischen den feinen Lamellen, und der Grind setzt sich vorzugsweise in den Tiefen der Schirme ab, dort, wo kein Fingernagel hinkommt und auch kein Pinsel, der so dick wäre, dass er etwas ausrichten könnte. Man würde es gerne, aber Pilze zu waschen, das ist verboten. Total verboten. Warum, lernt man spätestens, wenn Pilze in der Pfanne liegen und das Wasser, das sie aufgesogen haben, wieder abgeben. Nicht von ungefähr nennt der Bayer sie Schwammerl. Ich habe dem Verbot nur einmal zuwidergehandelt und beobachten müssen, wie Pilze sich in matschige Gestalten verwandelten, die schmeckten wie aus der Dose.

Bei Pfifferlingen allerdings gibt es eine Ausnahme. Sie lassen sich waschen, aber unter einer Bedingung. Man rührt ein, zwei Esslöffel Mehl ins Wasser, kurz bevor man die Pilze hinzugibt. Das Mehl wirkt erstens wie Schmirgelpapier und scheint zweitens, die feinen Poren der Pfifferlinge zu verstopfen. Sie saugen sich nicht so stark voll. Trotzdem sollte das Bad möglichst kurz sein. Ich wirbele die Pilze nur ein paar Sekunden durchs Wasser und habe vorher schon die sauberen Exemplare aussortiert. Der Trick funktioniert. Nur sollte man die Pilze vorher nicht geschnitten haben. Gegen den Schwammeffekt ist auch das Mehl hilflos.

So zart man die Pilze vorher behandeln sollte, am Herd ist es mit der Vorsicht vorbei. Ich brate Pfifferlinge in einer knallheißen Pfanne an, bis sie braun sind und knackig. Es ist dabei ganz egal, ob ich sie für ein Risotto vorgesehen habe, eine Pilzsauce oder ob sie nur in ein Omelette geklappt werden sollen. Die leichte Pfeffrigkeit, die ihnen den Namen gegeben hat, kommt so am besten raus. Dann fragt man sich doch, ob tatsächlich nie jemand ein Königreich für ein paar Pfifferlinge eingetauscht hat.

Foto: trupastilla