Der Döner ist ein Berliner

Als begeisterter Esser kommt in Berlin eigentlich jeder auf seine Kosten. Und wird irgendwo ein neuer Trend ausgerufen, kann man sicher sein, spätestens nach einem halben Jahr probiert es damit jemand auch an der Spree. Es ist bestes Multikulti. Ich beispielsweise habe hier in den vergangenen zwei Wochen asiatische Burger gegessen, neue baskische Küche probiert und Hummus nach israelischem wie libanesischem Rezept kosten dürfen. Alles gute Küche: Im Hamburger war die Bulette durch Rindfleischfetzen ersetzt, die in Teriyaki-Sauce mariniert waren. Außerdem kam das Fleisch von Salzwiesenrindern an der Nordsee. Und beim Basken warb die Karte für Räucheraal aus der Ostsee. Ganz nah und ganz weit weg, das begegnet mir immer öfter in Berlin.

Nur einer hat damit ein Problem: der Genussführer der Slow-Food-Bewegung. Als er im vorigen Jahr erstmals erschien, war kein einziges Berliner Lokal darin verzeichnet. Das sorgte für Aufsehen, der Guide Michelin hatte fast gleichzeitig Sterne auf die Hauptstadt regnen lassen. Der Slow-Food-Führer war in Deutschland lang vermisst worden. Sein Vorbild – Osterie d’Italia – gibt es inzwischen seit über 20 Jahren. 1986 als Internationale des guten Geschmacks gegründet, brachte Slow Food 1990 erstmals ein schmales Bändchen heraus, in dem italienische Landgasthöfe vorgestellt wurden, die frisch und regional kochten. Es war als Alternative zu den Bewertungsbüchern mit ihrem Notensystem aus Hauben und Sternen konzipiert. Wertschätzung frischer Zutaten, Weiterführung lokaler Traditionen, gern bei moderaten Preisen – das war das Prinzip. Der Band revolutionierte Italiens Küche. Heute sind darin 17.000 Restaurants verzeichnet, bei jedem Erscheinen stürmt er die Bestsellerlisten. Nachahmer in anderen Ländern folgten.

Die deutsche Ausgabe empfiehlt 300 Gasthäuser, schwerpunktmäßig aus den ländlichen Regionen von Bayern, Franken, Baden und Württemberg. Städte kommen auch vor. Warum aber fehlt ausgerechnet Berlin? Passt Multikulti nicht ins Konzept? Mit Tradition sieht es in der Hauptstadt tatsächlich mau aus, sagen wir besser mit deutscher Tradition. Berlin, erst Stadt gewordene Kaserne für die preußischen Truppen, nach der Industrialisierung für die Arbeiterheere, musste in seiner Geschichte vor allem ernähren. Zu besserer Küche reichte es selten. Im Gedächtnis geblieben sind Berliner Weiße, Eisbein und Currywurst.

Aber was ist mit dem Döner? Der ist mindestens so deutsch wie türkisch, wenn man Chinesen fragt, sogar urdeutsch. Als Imbiss im Fladenbrot brach er in den 70er Jahren von Kreuzberg zu einer triumphalen Welttournee auf, wird aber bis heute an der Spree verortet. Gäste von außerhalb begleite ich regelmäßig gleich nach der Ankunft zur Dönerbude: All das, was es in München, Frankfurt oder Stuttgart gibt, sei doch nur ein Abklatsch, sagen sie mir. Also wenn das kein echter Berliner ist!

Das Problem: Der Döner ist selbst nur ein Abklatsch. Ein Symbol für gelungene Integration – so lange, bis man das erste Mal hinein beißt. Das Fladenbrot zieht einem den Saft aus dem Mund, die Tomaten sind geschmacklos, die Saucen zu fett. Über das Fleisch will ich gar nicht sprechen. Außer mit Gästen gibt es für Döner nur eine Gelegenheit: wenn der Alkohol im Blut einen vollen Magen verlangt. Quasi als vorgezogenes Katerfrühstück. Mit Genuss hat das nichts zu tun.

Nächste Woche erscheint der neue Genussführer, diesmal mit einem eigenen Berlin-Kapitel. Ich bin gespannt, was Slow Food als Berliner Regionalküche ansieht. Dass ein Dönerladen empfohlen wird? Da habe ich leider wenig Hoffnung.

Slow Food Genussführer Deutschland 2015, oekom verlag München, 448 Seiten, 19.95 EUR

Foto: Kai Hendry / CC

Nichts geht über echte Berliner San-Marzano-Tomaten

Regionaler geht es doch kaum. Auf dem Balkon haben sich die ersten zwei Tomaten in ein sattes Rot gefärbt. Die eine davon habe ich gleich vom Strauch gegessen, die andere als Belag auf einer Scheibe geröstetem Weißbrot serviert: grob gewürfelt, mit Basilikum, etwas geriebenem Knoblauch und Olivenöl vermischt, die klassische Bruschetta. Wenn Sie mich fragen: Es geht nichts über echte Berliner San-Marzano-Tomaten, die in Sichtweite des Fernsehturms gewachsen sind. Aber halt. San Marzano, diese typischen italienischen Flaschentomaten, sind doch in Süditalien heimisch. Und die Samen kommen von einem Online-Versand in Baden-Württemberg. Ich frage mich: Ist das tatsächlich so regional? Die Stiftung Warentest hat sich die Mühe gemacht, Menschen zu befragen, was sie unter „regional“ verstehen. Die Ergebnisse sind interessant. Denn die Vorstellungen sind unterschiedlich.

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Urbane Nachtschattengewächse

Einige begreifen Region als einen begrenzten Naturraum wie das Allgäu, die Rhön oder den Spreewald, andere meinen den eigenen Landkreis oder das Bundesland, in dem sie leben. Einig sind sich die Befragten nur, dass Region irgendwie doch kleiner sein muss als Deutschland. Seltsamerweise aber vermuten die meisten hinter Bezeichnungen wie „Äpfel aus Deutschland“ eher regionale Produkte als etwa bei Allgäuer Emmentaler oder Spreewälder Gurken, obwohl das sogenannte geschützte Ursprungsbezeichnungen sind.

Man kommt zu dem Schluss: Regional kann alles sein oder nichts. Jedenfalls ist es ein absoluter Ernährungstrend. Inzwischen beugt sich dem sogar schon McDonald’s. Dabei ist es noch nicht so lange her, dass der Fastfood-Riese damit warb, seine Burger schmeckten überall gleich, egal ob in Sydney, Peking, Berlin oder New York. In Deutschland hat McDonald’s es nun mit Currywurst im Sortiment ausprobiert, in Italien mit Nudelsalat, in Hongkong gibt es Shogun-Burger mit Kraut und Teriyaki-Sauce. Ich hatte unter „Global denken, lokal handeln“ mal was anderes verstanden. Oder ging der Spruch andersherum?

Es gab in der Bundespolitik mal Überlegungen, zu regulieren, wann der Begriff „regional“ auf einem Produkt stehen darf. Denn die Bezeichnung liest man inzwischen viel zu oft. Aber gerade das Beispiel McDonald’s zeigt, der Zug ist abgefahren. Denn man müsste regulieren, welches Lebensmittel wo als regional gelten darf. Die Spreewälder Gurke etwa ist in München gar nicht mehr regional. Aber jede Wette: Die meisten Menschen dort würden „Sale marino di Sicilia“, also Meersalz aus Sizilien, regionaler einstufen als das „Markensalz“ aus dem nahen Bad Reichenhall. Auf der Verpackung sagt der Begriff ungefähr genau so viel wie die Bezeichnung „ohne Geschmacksverstärker“, obwohl das Produkt trotzdem voll mit Hefeextrakt steckt.

Aber es gibt eben kaum ein besseres Verkaufsargument als Unverfälschtheit und Authentizität. Wir wollen essen wie bei Muttern oder von Fall zu Fall auch bei der italienischen Mama. „Regional“ weckt wie „pur“, „aus dem Landgarten“ oder „nach Hausmacherrezept“ die gleichen nostalgischen, matriarchalen Hungergefühle. Man könnte deshalb die Faustregel aufstellen: Je mehr Geschmacksverstärker auf der Packung, umso mehr finden sich auch darin. Aber zurück zum Gemüse von meinem Balkon.

Ich habe Tomaten aus einem Garten in der Uckermark mitgebracht bekommen, saftige Ochsenherzen und schon echte Mecklenburg-Vorpommerinnen. Ob sie noch regional sind, darüber kann man streiten. Aber sie schmecken noch vorzüglicher als meine. Und ich glaube, die Luft, in der sie reifen, ist auch besser.

Foto: ramson | CC