Reiseproviant – früher und heute

Was gibt es auf einer Fahrt von A nach B Schöneres – als zu essen? Ich kann mich an Zugfahrten erinnern, manche scheinen Jahrhunderte her, bei denen mir die Augen überliefen, was Mitreisende an Reiseproviant auspackten: Im Liegewagen nach Thessaloniki frühstückte eine Familie eine Riesenschüssel griechischen Salat, es gab allerhand salzige Blätterteigteilchen und natürlich gefüllte Weinblätter. Beim Gang durch den Zug sah ich einen Teller Ćevapčići, und irgendwo wurde eine Wassermelone zerteilt. Die Fahrt war ein großes Picknick, und irgendwann fragte ich mich: Wollten die Passagiere sich gegenseitig überbieten?

Reiseproviant
Der Proviant wird durchs Fenster gereicht. Ein Markt an der Maeklong-Bahninie in Thailand

Es war nicht das letzte Mal. Auf Fahrten von und nach Italien ging es noch besser zu. Einmal wurde in meinem Abteil zur besten Abendessenszeit ein in Salz gebackener Fisch erst aus der Aluhülle und dann vom Salzmantel befreit. Der Fisch war noch warm, und als Beilage gab es Focaccia. Die Pizza-Scheiben stapelten sich so hoch, der ganze Waggon wäre davon satt geworden.

Ich wurde eingeladen mitzuessen und schämte mich, zum gemeinsamen Mahl nichts beitragen zu können. Das sollte mir nie wieder passieren, habe ich mir seitdem geschworen und packe nun immer irgendwas Essbares ins Gepäck, wenn es erlaubt ist.

Doch solche Erinnerungen tragen Patina. Gegessen wird zwar noch immer, aber nicht mehr aus Tupperdosen, eher aus zerknitterter Alufolie oder aus dem Jutebeutel. Auf dem Flug von Stockholm nach Berlin wurde im Gang eine Fastfood-Tüte aufgerissen. In deutschen Zügen liegen Gummibärchen, Kekse und Snacks auf den Tischen, was der Bahnhofshandel eben so alles hergibt. Aber wer hat schon noch eine selbst geschmierte Stulle dabei? Neulich habe ich mal wieder eine gesehen. Hinter verdeckter Hand biss der Mann hinein, etwas verschämt.

Das ist die Ausnahme. Ist man unterwegs, heißt es essen, wie man lustig ist, ohne Regeln, ohne Maß, eben auch Fisch und Focaccia – oder Fast Food. Nur soll es heutzutage vielleicht nicht so sehr riechen – und der Reiseproviant möglichst wenig Spuren im Gefährt hinterlassen. Das Angebot in den Abfahrtszonen geht darauf ein – auch wenn die Klimaanlage im Flugzeug Pommesgeruch im Handumdrehen absaugt, wie ich feststellen durfte.

Warum essen Menschen so gern, wenn sie sich fortbewegen? Brauchen wir diese Kaubewegungen, um unser Gleichgewichtsorgan abzulenken, das etwas aus den Fugen ist? Zumindest auf See ist das ein gutes Rezept.

Ist Fressen – oder nicht gefressen zu werden – nicht einer der Hauptgründe, warum Lebewesen ursprünglich ihr Nest verlassen haben? Und steckt uns das noch irgendwo tief im Stammhirn?

Diese Frage führt zu weit. Ich glaube, mit dem Essen kann man die Reisezeit ein bisschen besser auf die eigenen Bedürfnisse anpassen. Es kann die Zeit bis zur Ankunft verlängern – oder verkürzen. Ein Beispiel: Wenn ich in Berlin den Zug nach München nehme und mir ein paar Butterbrezen mitnehme, dann bin ich eigentlich schon in Bayern angekommen, bevor der Zug in Leipzig hält. Butterbrezen sind für mich der Inbegriff eines bayrischen Frühstücks. Zurück dauert die Reise länger.

Ich habe bisher noch keinen idealen Berliner Reiseproviant gefunden. Und gute Dönerstände in München muss mir noch mal jemand verraten. Auf dem Rückflug von meinem Urlaub in Schweden jedenfalls habe ich Unmengen an Lakritz in mich hineingestopft und auch Packungen angebrochen, die als Mitbringsel vorgesehen waren. Lakritz besitzt ja die Eigenschaft, einen außerordentlich langen Nachgeschmack hervorzurufen. So war ich schon einen Tag in Berlin – aber noch längst nicht zu Hause.

Foto: Chrissy Olson | CC

Meine allererste Angellektion

Jedes Mal, wenn ich zum Angeln gehe, muss ich an mein erstes Mal denken. Ich hatte gerade lesen gelernt. Und mein Großvater, der gern lange Stunden auf dem See zubrachte, fand, nun sei die Zeit reif, dem Enkel seine Passion mitzugeben.

Er war mit allem Zubehör ausgestattet, auch wenn der Zahn der Zeit daran genagt hatte: ein wunderschönes Holzboot, die unterschiedlichsten Angelruten, außerdem eine alte Umhängetasche aus brüchigem Zwirn, die so interessante Sachen wie Schwimmer, Schnüre, angelaufene Messer und Fliegenköder enthielt, die schon etwas verklebt und zerfleddert waren. Mein ganz besonderes Interesse aber weckte ein verrostetes Gerät, das aussah wie eine große Fleischgabel. Daran hing noch ein langes Stromkabel.

Ich wurde nicht lange auf die Folter gespannt. Lektion 1 meiner Einführung ins Anglertum: Mein Großvater hieß mich, die Gummistiefel anzuziehen und mit dem Kabel in der Hand an der Steckdose stehenzubleiben. Dann stiefelte er auf die Wiese und spießte das Ding in die Erde. Wie ich heute weiß, handelte es sich dabei um einen haushaltsüblichen Tauchsieder, bei dem die Spirale aufgebogen und zu zwei Zinken umgeformt worden war. Großvater kam zurück und sagte im Vorbeilaufen, ich solle jetzt das Kabel einstecken – aber vorsichtig. Dann verschwand er im Haus.

Ich war wirklich sehr behutsam. Trotzdem: Im Haus gab es sofort einen lauten Knall. Sehr gedämpft hörte ich: „Macht nix. Da haut’s immer die Sicherung raus! Stecker raus!“ Wenig später erschien der Opa wieder, sah den kleinen Jungen, der wie angewurzelt an der Hauswand stand und den Stecker steif umklammerte. Er drehte mich zur Wiese hin und sagte: „Da schau!“

Die Wiese wimmelte. Hunderte, ach was, Tausende Regenwürmer ringelten sich im Gras. Der Stromstoß hatte sie aufgeschreckt, in heller Aufregung waren sie aus der Erde geschossen. Überall sah man kleine Klumpen, die Würmer hatten sich ineinander verschlungen. „Schnell“, sagte der Opa und drückte mir ein Marmeladenglas in die Hand. Wir machten in den nächsten fünf Minuten drei Büchsen voll. Das war meine erste Anglerlektion: Würmerfischen. Wer ein echter Angler sein wollte, der musste sie auch an den Haken stecken. Das war die zweite, leichtere Übung: Kleine Kinderhände waren genau richtig, die sich windenden Würmer durchzupieksen, sie zerrissen so leicht. Wir fingen damit schon am ersten Tag acht Schrazen, so werden die Flussbarsche am Chiemsee genannt, sie waren etwa so groß wie Forellen. Am zweiten gingen noch vier an den Haken, die nächste Woche dann keiner mehr. Vielleicht waren den Fischen die Würmer schon zu alt, dachte ich mir. Aber die Würmergabel wieder in die Erde zu stecken, dafür war ich noch zu sehr unter Strom.

Kulinarisch machte ich mir nichts aus dem Fang. Fische, deren Leibspeise offenbar Würmer waren: Da gab es bessere Alternativen. Etwa diese herrlichen Semmelknödel mit Schwammerlsoße oder das Wiener Schnitzel, die es im Wirtshaus gleich am Bootssteg gab. Dort entdeckte ich auch meine Vorliebe für Steckerlfisch. Eine Spezialität bayrischer Biergärten, für die ganze Fische, oft Makrelen oder Renken auf Holzspieße, so dick wie Tauchsiederrohre, gesteckt und über Holzkohle gegrillt werden. Allerdings musste mir mein Opa versichern, diese Fische wurden alle mit dem Netz gefangen.

Ich musste wieder daran denken, als hier in Schweden nach einer halben Stunde ein Hecht anbiss, lang wie ein Kinderarm. An der Schnur hing kein Wurm, sondern ein Messingblinker. Ich habe den Fisch auf einen Stock gesteckt und ein kleines Lagerfeuer angezündet.

Foto: Mentalblock | CC